positiv überrascht - Eiger Trail Surprise

18.07.2020
Heute bietet sich mir die erste Gelegenheit des Jahres, eine Startnummer überzuziehen und direkt gegen andere zu laufen. Ich freue mich sehr, denn die vielen Absagen von Veranstaltungen streichen eben nicht einfach nur Termine aus dem Kalender, sondern wunderbare Erlebnisse. Vor einem Jahr absolvierte ich hier in Grindelwald den 51km-Lauf. Später im Herbst ärgerte ich mich darüber, bei der Auslosung der Startplätze fürs 2020 leer ausgegangen zu sein. Ja ich hätte sogar den Startplatz für den 100km-Lauf genommen ;-) Auch so gesehen ist die Tatsache, heute am Eiger Trail Surprise 2.0 für immerhin 22km und rund 1'300Hm überhaupt die Laufschuhe schnüren zu können doch schon eine positive Überraschung.
ein Stück Eiger für alle Finisher
Übrigens schaffte ich es im aller letzten Moment auf die Startliste, denn der Bezahllink landete ohne meine Kenntnis im Spamordner und ich war meinen Startplatz eigentlich schon los, bevor ihn überhaupt hatte. Anfangs Woche hetzte ich noch zwei Mal auf den Niesen - natürlich im Glauben, den Startplatz verloren zu haben - mal schauen ob meine Beine heute dennoch bereit sind. Aber es kam wiederum eine positive Überraschung, so dass mich die Organisatoren auf die Startliste setzten. Darum stehe ich jetzt in Grindelwald und lasse mich nochmals überraschen. Warum das? Nun, die genaue Strecke bleibt bei diesem Lauf eben eine Überraschung, es wird lediglich das Höhenprofil publiziert. Selbstverständlich recherchierte ich und konnte die Strecke mehr oder weniger genau ermitteln. Dennoch ist mir jeder Streckenmeter neu. Nichts als Überraschungen also.
Startklar
Alle 20sec starten zwei Läufer. Ich bin mit Startnummer 287 von rund 300 Läufern erst gegen Ende dran. Beim Aufwärmen war ich noch erstaunt, wie viele Läufer nach dem Startschuss eher gemütlich starten à la Ultra-Marathon. Aber spätestens die paar Läuferinnen direkt vor mir machen einen zielstrebigeren Eindruck. Auch was die Ausrüstung betrifft, so nimmt die Menge an Accessoires wie Stöcke, Trinkbeutel und weiterer Schnickschnack mit jeder Startnummer tendenziell ab. Erst gestern kaufte ich mich für kurze Distanzen noch einen neun Trailsack: statt 17 Liter Packvolumen verfügt der neue über 3 Liter. Weniger ist mehr (gilt übrigens nicht für Geld, Zeit, Sex, Glück, Humor und Nutella).




Um 10:16 Uhr hopse ich los. Mein Mitstarter fehlt, also jage ich die beiden Damen vor mir alleine. Sie sind ziemlich schnell, denn für KM1 aus dem Dorf hinaus, mal leicht bergauf und leicht bergab, zeigt meine Uhr eine Kilometerzeit von 03:45 an. Nach KM2 beginnt der Aufstieg, aber hier überhole ich eben diese beiden Damen und auch andere Läufer. Zu Beginn halte ich meinen Vorsatz, heute alles zu joggen, locker ein. Auch wenn der Start ä chliii zu schnell war. Von den 6Km Aufstieg sind 2 davon steiler, meinte ich. Während ich fleissig überhole, hängt mir dennoch bald der erste Läufer an den Fersen. Später lässt er mich wissen, dass er zwar schneller sei, mein gemächliches Tempo allerdings gut sei für seinen Puls. Also trabe ich weiter. Vor ihm. Und sehe ihn nie wieder. Tja. Vorbei am Restaurant Marmorbruch gefällt mir die Passage über die Steinplatten. Ob es am Niesen, am zu schnellen Start oder an etwas anderem liegt, weiss ich nicht, jedenfalls muss ich marschieren. Diese Tatsache gefällt mir zwar wenig, aber ich speichere sie als «Energie sparen» ab. Als der Weg abflacht, überholen mich drei Läufer, deren Tempo wirklich irr ist. Mehr dazu später. Die leichte Steigung passt mir wieder besser und auch der Streckenverlauf, abwechselnd technisch und dennoch insgesamt flowig, gefällt mir gut. Nochmals ziehen ein paar an mir vorbei, beeindruckend. Die Zeit geht schnell vorbei und es wartet der erste kurze Downhill nach Alpiglen.
in Action
Ab ein paar Steinplatten knicke ich halb ein und stosse mir die Kniescheibe an. Zum Glück fiel ich hier nicht mit Schwung um, sonst würde das Knie anders aussehen als ein paar Blutflecken. Dennoch schmerzt es ziemlich und ich lahme etwas. Ich stelle mir die Frage, ob es mich nur stört oder auch behindert. Kurz darauf passiere ich den Verpflegungsposten und fülle 4dl Wasser nach. Ab hier geht's moderat bergauf und ich jogge wieder. Der Schmerz lässt nach und es behindert mich nicht wirklich. Knapp hinter mir kämpft sich eine der beiden Läuferinnen durchs Feld, die eben direkt vor mir startete. Überall wird sie angefeuert, so dass sie nach meinen Überlegungen entweder Einheimische oder eine Schnelle ist. Sie ist sozusagen mein heutiger Enemy - Deswegen ist mein Ziel, bis zum letzten Anstieg vor ihr zu bleiben. Das gelingt mir dann auch gut. Sogar kräftesparend jogge ich hinauf zu den Skiliften leicht unterhalb der Kleinen Scheidegg. Meinem rudimentären Zeitplan hinke ich etwas nach, allerdings erwartete ich auch eine wesentlich weniger technische und somit schnellere Strecke. Nach 12km geht's definitiv nur noch bergab, zuerst über die Skipiste, dann über den Wanderweg.
Obacht bim Downhill
Das Ziel in Grindelwald scheint noch weit weg und dennoch purzeln die Kilometer zügig. Mangels Wettkämpfe und auch weil ich unterdessen lieber fötele als spinne bin ich kaum noch gewohnt, am Limit zu secklen. Deswegen bin ich unsicher, ob ich schneller könnte und wenn ja, wie lange das anhalten würde ohne am Ende einzugehen. Ich weiss aber, gut dran zu sein, denn das Verhältnis zwischen selber überholen und überholt werden spricht klar zu meinen Gunsten. Seit einigen Kilometern überholte mich keiner mehr. Ausser dreckige Schuhe und Hände bleibt dann ein Sturz auf dem nassen Holz ohne Folgen. Mein Schuh ist für leichtes Gelände gedacht, erst im nassen Wald zeigt er definitiv Schwächen. So bleiben einige Ausrutscher nichts anderes als kostenlose Adrenalinschübe. Kurz vor Ende des Waldes passiert es dann, mein rechter Schuh verliert die Haftung, rutscht ab und schleift sich über das am Boden liegende Holz und Steine. Ohne wirklich zu stürzen, bemerke ich, dass dabei der Schnürsenkel gerissen ist. Es braucht zwei Versuche, die Sache provisorisch zu flicken und neu zu knoten. Zwischenzeitlich holt mich deswegen das Fräulein fast an. Im Feeling eines lockeren Freizeitschuhs renne ich weiter bis zur Talsohle. Hier erinnere ich mich bestens ans letztjährige Leiden auf dem gefühlt vierzehntausend Grad heissen Asphalt. Heute geht das lockerer und so überhole ich dennoch einen Läufer, der mir Zwischenzeitlich schon davongeseckelt war. Die letzten Kilometer über die Strasse gehen wieder zügiger, so erreiche ich bald den kleinen Anstieg hinauf ins Dorf. Ab hier sind die Ränge bezogen, das Rennen gelaufen, d'Sach isch brittlet. Im Ziel höre ich dann Zwischenrang 10 und meinen Namen im gleichen Satz.
Churz vorem Ziu
2h28 Laufzeit bedeuten dann tatsächlich Kategorienrang 9 und Gesamtrang 12. Die Spinner, die mich anfänglich überholten, sind niemand geringeres als der letztjähriger Sieger des 101km-Lauf und Remy Bonnet. So egal mir das ist, so eindrücklich war es, diese Läufer mal selbst im Gelände zu sehen. Mein Enemy blieb bis zuletzt hinter mir, sie erreichte Rang 2 bei den Frauen.




Heute lief es mir sehr gut, ich bin natürlich zufrieden, auch wenn das reduzierte Teilnehmerfeld das Resultat verfälscht. Über die drei Zwischenfälle mit dem Sturz, dem Knie und dem Schnürsenkelriss muss ich natürlich lachen, denn letzteres war immer meine grösste Furcht: ein Lauf barfuss beenden zu müssen. Die wirklich schöne Strecke - die mal im Wald, mal Nahe dem Eiger, mal technisch, mal schnell - sehr viel Abwechslung bietet, rundet diese positive Überraschung ab. Solch schnelle Läufe machen mir unheimlich Spass, so dass ich voll motiviert und mit einem weiteren Bitz Eiger nach Hause gehe…
Schnürsenkelriss rechts provisorisch repariert