auf die Treppe, fertig, los! Niesen-Treppenlauf

15.06.2019
11'674 Treppenstufen. 1'669 Höhenmeter. 3,4 Kilometer. Die längste Treppe der Welt. «Steil ist geil» denkt sich wohl, wer sich dafür anmeldet. So probiere ich mich heute eben mal der Seilbahntreppe von Mülenen 693m.ü.M. hinauf auf den Niesen auf 2'336m.ü.M.

bis zu 68 % Steigung

Frühmorgens geht es nach Mülenen, während der Hinfahrt verziehen sich die Wolken oben auf dem Kulm. Das befürchtete Gewitter wird nicht kommen. Ich freue mich auf das Unbekannte, das mich an diesem Lauf erwartet. Laufen bedeutet heute Marschieren, oder äbä träppele. Nach einigen Tagen Pause war ich gestern noch kurz Joggen, fühlte mich dabei völlig ausser Form oder zumindest verrostet. Mein fauler Laufstil, ich hebe die Beine zu wenig, wird mir auf der Treppe wenig entgegenkommen. Auch habe ich dafür nicht trainiert und bergauf bin ich immer etwas langsamer. Aber egal, heute ist der Tag der Treppe.
das Objekt der Begierde
In Intervallen von 30 Sekunden starten 3 oder 4 Teilnehmer gleichzeitig. Zuvorderst jogge ich locker los. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie man so einen Lauf angeht. Die Treppe beginnt etwa nach 200m, ich nehme die ersten Stufen noch zügig, dann marschiere ich. Es dauert keine Minute, bis die ersten unsere Gruppe überholen, die Hände zu Hilfe nehmend, versteht sich. Hier ist die Treppe noch verhältnismässig flach. Die ersten Opfer, die sich wohl übertan haben, pausieren und lassen uns passieren. Über den ersten Viadukt zeigt sich, was bei diesem Lauf etwas mühsam ist: Die Stufen sind unterschiedlich hoch, die Steilheit ändert auch, die Abstände der Stufen abwechselnd von kurz zu lang, gerade bis abfallend. Es ist schwierig für mich, einen Rhythmus zu finden.
rund ein Viertel ist geschafft...
Überholen geht besser als erwartet. Nicht, dass ich es häufig tun kan, aber in diversen Berichten las ich von fehlenden Überholmöglichkeiten. Noch vor dem ersten Kilometer mache ich von der Mitte der Bahn auf die Treppe am Rand einen langen Schritt und spüre einen anbahnenden Krampf in der Wade. Hoppla. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich merke, das könnte nach oben noch heikel werden. Ich schaue auf meinen Puls, versuche konstant zu laufen. Später zucken wie Waden nochmals. Huss. Kreislaufmässig und geistig fühle ich mich besser als erwartet, dass die Waden gelegentlich zucken, kam naiverweise überraschend...
das Mitzählen der Stufen habe ich längst aufgegeben
Ausgangs Tunnel Schwandegg. Jetzt geht's richtig los
Die Mittelstation Schwandegg 1'669m.ü.M. erreiche ich nach 51:03, dort halte ich für ein Getränk. Mehr als die Hälfte ist geschafft. Die ersten paar Meter nach dem Tunnel sind vergleichsweise flach, kurz darauf wird die Treppe beeindruckend steil, bis zu 68 %! Wir laufen in den Neben hinein, das macht aber nichts, denn so viel geschwitzt wie in den ersten 25min habe ich zu Läbtig noch nie, da kommen kühlere Temperaturen gelegen. Auf den Viadukten, dort wo die Stufen gleichmässig sind, gefällt es mir richtig gut und ich komme besser vorwärts, kann mich ein wenig von meinen direkten Verfolgern absetzen und auf die Vordermänner und -Frauen aufholen. Auf den Steintreppen ist das anders. So höre ich bald im Nebel die Stimmung der Menschen, die im Ziel warten. Bis dahin geht es aber noch sicherlich 300m auf der Treppe. Auf dem letzten Viadukt geht mir dann die Kraft aus. Ich weiss schon, für die aller letzten 200m auf dem Wanderweg könnten sich die Krampferscheinungen noch einmal melden. Als dann die aller aller aller letzte Treppenstufe geschafft ist, renne ich gemütlich los, steigere das Tempo. Für ein paar Meter geht das, dann zucken sie, die Waden. Also Marschiere ich gemütlich ins Ziel, bevor es mir die Beine lupft. Dabei überholen mich natürlich einige Läufer. Egal. Mit 1h33 bin ich nur 3min schneller als über den 7,7km langen Wanderweg. Ich lande in meiner Kategorie auf dem bescheidenen Rang 50 von 113, overall 96 von 236. Damit kann ich leben. Jetzt ist Dehnen angesagt...
steiler Schlussabschnitt


die Beine mal anders belastet
langes Fazit: tolle Sache, dieser Niesenlauf, ich würde es wieder tun. Ich hatte es mir viel monotoner vorgestellt, aber auch belastender für den Kreislauf. Dass mich die Beine verlassen könnten, hatte ich erst wenige Tage vor dem Lauf in Betracht gezogen. Vielleicht komme ich mal früh morgens auf der Treppe trainieren, da liegt sehr viel Potenzial drin. Schön, gibt es solche Anlässe in der Region, wo Läufer aus aller Welt extra anreisen, wie der Typ aus Japan. Einer lief übrigens im Feuerwehranzug rauf.


Retour zu Fuss bis zur Schwandegg folgt eine Einkehr in Spiez. Pasta mampfen & so.
Spiezerbucht