Hard. Harder. Hardergrat.

29.09.2019
Ich gebe es zu, den Titel dieses Berichts hatte ich vor dem eigentlichen Run definiert. Ob er nun zutreffend sein wird oder nicht, werde ich sehen. Wohl für keinen anderen Run habe ich so viel Zeit investiert für die Recherche. Heute vor zwei Wochen nahm ich mir ihn ein erstes Mal vor, diesen Grat auf der Nordseite des Brienzersees. Es kam anders. Gleiches die Woche darauf. Nun soll es heute endlich soweit sein. Ehrlich gesagt fürchte ich mich etwas vor dem Tannhorn, dazu gibt es viele Berichte, teilweise sehr unterschiedlich eingeschätzt. Heute ist es an der Zeit...

Tannhorn mit Heiligenschein



Da ich den ganzen Grat beschreiten will, tu' ich das von Ost nach West. Dadurch begehe ich die Schlüsselstellen im vermutlich leichteren Aufstieg und reduziere die Anzahl Höhenmeter. Mit Verspätung starte ich auf dem Brünig auf 1'005m.ü.M. Analog gestern ist ein Prachtstag angekündigt, sozusagen wolkenlos. Bereits nach kurzer Distanz erwartet mich die erste richtige Steigung, wenn auch landschaftlich weniger. Da mich ein ziemlich langer Run erwartet, starte ich gemütlich, früh zu Marschieren ist also keine Schande. Dank ein paar Kühen entdecke ich den Blick auf den gesamten Grat sowie den Brienzersee. Bis hinauf zum Tüfengrat bin ich gedanklich abgelenkt. Für einige Meter folge ich diesem sanften und angenehmen Trail über Gras. Ich erfreue mich den fast sommerlichen Temperaturen. Einzig bin ich erstaunt, wie langsam ich mich dem ersten Zwischenziel nähere, dem Brienzer Rothorn. Vom Brünig bis dorthin sind gemäss meinem Erinnerungsvermögen 5h signalisiert. Eine erste Pause habe ich für die Höch Gumme (2'205m.ü.M.) geplant. Über einen fast flachen, flowigen Trail mit bester Seesicht reizt es mich, etwas Gas zu geben. Ich widerstehe. Dann verpasse ich Glatt den Aufstieg zur Höch Gumme, weswegen ich am Gipfel vorbeizottle, um dann von der Westseite zurückgehen zu müssen. Oben gönne ich mir etwas Verpflegung, ziehe des Windes wegen ein Langes über und schicke ein paar wolkenfreie Fotos in die Cloud.
erster idyllischer Seeblick

schöner Trail

es liegt noch viel Brienzergrat vor mir :-)
Bis zum Brienzer Rothorn bekomme ich einen ersten Vorgeschmack auf den Grat. An zwei-drei Stellen nähert man sich dem Abgrund, wobei das Terrain hier einfach ist. Gegen 200 entgegen kommenden Wanderern begegnen mir bis zum Rothorn, gits ja garnid. Der unschöne Tourisweg endet dann beim Rothorn, auf dem ich zuerst den höchsten Punkt überschreite, um dann meine Wasservorräte sowie meinen Magen aufzufüllen. Kurze Pause nach 2h28. Der Wind bläst mit ca. 50km/h, weswegen die Restaurantterrasse ziemlich ungenutzt bleibt. Wassertank voll, es kann weitergehen. Go West scheint bei den Touris nur eine Erinnerung an einen Song zu sein, denn westlich des Bergrestaurants bin ich plötzlich alleine unterwegs. Fast alleine. Ein erstes Bild vom eigentlichen Grat erhöht die Vorfreude. Vorbei am Schöngütsch (Gipfel ausgelassen), erreiche ich das Lättgässli. Auf der Nordseite des Grats weht ebenfalls Wind, die Sonne kommt hier nicht hin, es wird frisch. Die Betontreppe ist schnell begangen, ein paar Entgegenkommenden weiche ich aus und entdecke deswegen einige Steinböcke. Sie sind zu weit entfernt für ein gutes Foto mit dem Smartphone. Den Chruterepass passiere ich bald darauf. Wo das Weglein schmaler wird oder sich dem Abgrund nähert, marschiere ich natürlich. Ein Entgegenkommender erzählt davon, unweit von hier umgedreht zu haben, noch vor dem Tannhorn. Gelegentliche Fotostopps und zügiges Marschieren prägen ab hier meinen Run. Ebenso eindrücklich wie die Nordwände zeigt sich längst das Tannhorn. Ich hatte es verdrängt, ja ignoriert, obwohl sein markanter Aufschwung so ziemlich jeden Gratschnappschuss prägt. Bis hierhin hielt sich der Schwierigkeitsgrad in Grenzen, man könnte also gefahrlos auf Tempo rennen.
Lättgässli von unten

erster Eindrücke vom Grat

typsicher Wegverlauf

hier wirkt der Gratverlauf wilder als er in Wahrheit ist

scho gli bim Tannhorn

Dann stehe ich beim Tannhorn. Bevor ich den gemäss Hikr T4-T5 klassifizierten Abschnitt in Angriff nehme, verpflege ich mich und pausiere. Der erste Aufschwung wird links umgangen, das Sicherungsseil hängt lose hinunter. Alles kein Problem, südseitig hält sich der Abgrund in Grenzen. Beim nächsten Abschnitt hilft das Seil, welches mir einen vertrauenswürdigen Eindruck macht. Es ginge auch ohne, erst die letzten Meter, wo das Weglein deutlich schmaler und steiler wird, der Abgrund näher kommt und das Festhalten schwierig wird, bin ich froh um das Seil. Beim ersten Gang über den Grat führe ich ein Selbstgespräch, nein ich plaudere mit dem Tannhorn. Meine Botschaft: möge es mir bitte friedlich gesinnt sein.
Schlüsselstelle Tannhorn, der Aufschwung wird links umgangen

erster Gratabschnitt

Blick zurück
Die Gratüberschreitung macht mir wenig aus, rechts wartet der Tod, links möchte ich auch nicht runterfallen, dazwischen liegt ein schmaler, aber dennoch genügend breiter, gut ausgetretener Grat. An dessen Ende kreuze ich eine Gruppe junger Burschen. Mit Hilfe der Hände ist auch der nächste Abschnitt geschafft. Irgendwie erinnere ich mich im Nachhinein an eine schmalere Gratpassage, nur ca. 2-3m lang, dafür etwas unangenehm, weil ein hoher Tritt zuvor den Abgrund ziemlich auf dem Silbertablett präsentiert. Henusode. Es geht alles viel besser als erwartet, so nehme ich die letzten Meter zum Gipfel in Angriff. Das wars. Tannhorn geschafft. Erleichtert bin ich und überrascht. Das Tannhorn war mir wahrlich friedlich gesinnt. Oben gönne ich mir eine Rast, Proviant, Fotos und einen Schwatz mit einem älteren Herren, der mich schon vor dem Allgäuwhoren warnt. 3h34 Laufzeit und gegen 19km sind passé.

schmali Aglägeheit

letzte Meter zum Tannhorn
Der Abstieg zeigt sich dank der durchgängigen Wegspur als einfach, anders wäre das hier weglos übers Gras. Zwei Kreuze mahnen zur Vorsicht. Während ich abwechselnd marschiere und jogge, werfe ich gelegentliche Blicke zurück, denn auch von dieser Seite wirkt das Tannhorn ebenso mächtig wie eindrücklich.
tolles Panorama auf dem Tannhorn

ungefähr Halbzeit auf dem Tannhorn

weiterer Wegverlauf nach dem Abstieg

typischer Wegverlauf
Mein Tempo lässt ziemlich nach. Ich bin bereits im Sparmodus was Flüssigkeit angeht. Weht der Wind mal weniger, steigt die gefühlte Temperatur ziemlich an, entsprechend schweisstreibend ist die Sache. Ein wunderbarer Gratverlauf, steile Graswände und bestes Wetter lassen mich bereits jetzt das Zwischenfazit ziehen: einer meiner bestens Runs ever. Eine Kraxelpassage aufs Allgäuwhoren bringt etwas Abwechslung, aber auch hier nehme ich den Schwierigkeitsgrad wesentlich leichter wahr als teilweise beschrieben.
Blick zurück zum Tannhorn

immer wieder Aufschwünge im Weg: Allgäuwhoren
Ein steiler Abstieg zur Allgäulücke bringt mich wieder näher an die Zivilisation, hier pausieren mehrere Wandermenschen. Unterdessen habe ich den Überblick über all die Hoger verloren, denn es folgt Aufschwung und Aufschwung, das Auf und Ab will keine Ende nehmen. Durstig und etwas hungrig nehme ich das Gummhorn in Angriff. Hier treffe ich noch auf einen alten Bekannten, Dänu Kammer. Er beabsichtigt die Gratbeschreitung in der Gegenrichtung zum Rothorn, wovon ich aufgrund des zeitlichen Fortschritts abrate. Das Gummhorn gefällt mir richtig gut, etwas unscheinbar im Vergleich zu anderen Erhebungen. Pausieren und Geniessen ist angesagt. Meinen Trinkbeutel leere ich nun vollständig. Jawohl, vollständig. Bis zum Harder ist es nicht mehr weit, meine ich ;-)
what a view

Rückblick zur Allgäuwlücke

kurz vor dem Allgäuwhoren

immer wieder ein Hoger im Weg...

Gummhorn
Über den Blasenhubel liesse es sich schneller rennen, wenn man denn noch Energie hat. Da ich am austrocknen bin, eignet sich ein nackter Energygel wenig, und Festnahrung eignet sich während dem Laufen noch weniger. Also jogge ich gemütlich hungrig zum vermeintlich letzten Aufschwung vom Wytlouiwhoren zum Augstmatthorn. Hier geht mir die Puste aus, obwohl ich eher gemütlich unterwegs bin. Einen Zwischenstopp später merke ich, dass die vielen Pausen eher ungünstig auf meinen Wasserbedarf wirken. Aber das kann ich jetzt nicht ändern. Auf dem Augstmatthorn suche ich vergeblich Steinböcke, erinnere mich aber daran, dass ich ja noch welche zu Gesicht bekam nach dem Tannhorn, wenn auch nur aus weiter Ferne. Der kurze Aufstieg zur Suggiture betrachte ich als die letzten Höhenmeter für heute. Ich bin froh, nun alle Aufstiege hinter mich gebracht zu haben. Der Durst plagt mich nun zunehmend, da ändert auch der einsame Steinbock in Richtung Lombachalp wenig.
zurück auf dem Wanderweg

Aufstieg zum Augstmatthorn

Aussicht vom Augstmatthorn


Ich weiss um die ziemlich sportlich signalisierte Wegzeit zum Harder. Je mehr ich mich beeile, desto schneller kann ich meinen Durst löschen. Selbstmotivation. Das ist aber einfacher gesagt als getan, denn mit zunehmendem Durst ständig dem scheinbar erlösenden See entlang zu jufle hat eine gewisse Ironie. Ich gehe förmlich ein, das Tempo reduziert sich mehr als erwartet. Und völlig vergessen hatte ich die kurzen Gegenanstiege, meist nur einige Dutzend Meter hoch, sie nerven dennoch. Bis zum Harder zieht sich mein Run enorm, da ändert auch der kühle Waldweg wenig. Die vielen Wurzeln kann ich nicht mal als Grund angeben für mein Tempo, wie peinlich. Irgendwann naht das Restaurant, wo ich mich eine Viertelstunde niedersetze. Dabei schütte ich nonstop 1,5l Wasser rein, läck tuet das guet. Nun wartet der letzte Downhill auf mich, denn ich eher gemütlich unter die Füsse nehme. Auch dieser Abschnitt kommt mir vor, als hätte ihn jemand extra für mich verlängert.

Suggiture mit Blick zum Harder

EJM für einmal Nebendarsteller

was für ein Trail

cha chum besser si
Nach 6h55 erreiche ich sichtlich erschöpft Interlaken. Hinter mir liegen rund 3'000 Höhemeter und ca. 3'400m Abstieg verteilt auf rund 37 Kilometer. Ein langer Tag geht zu Ende. Ich habe so viele Eindrücke gewonnen, ich kann kaum glauben, dass die alle von einem einzigen Tag stammen.
churzi Zämefassig
Fazit: Das Streckenprofil ähnelt mehr einer Ultralaufveranstaltung als einem sonntäglichen Ausflug. Ob man jetzt die Abschnitte Harder bis Interlaken sowie Brünig bis Brienzer Rothorn anhängen soll, das muss jeder für sich entscheiden. Es ist wahrlich ein harter Run gewesen, mit dem Wassermangel und den vielen Pausen habe ich mir die Sache unnötig schwer gemacht. Die zwei Snickers und zwei Linzertörtli mögen ungenügend erscheinen für eine solche Strecke. Ist es auch. Schliesslich sind es etwas überraschend die 3,2 Liter Wasser, die mir zu wenig waren, weshalb auch immer. Der Titel dieses Berichts ist insofern passend, als dass die Strecke doch eine gewisse Kondition erfordert. Dem gegenüber steht ein deutlich einfacherer Wegverlauf, als man den Zeilen im Netz Glauben schenken mag. Ich habe es wirklich weniger mit ausgesetzten Stellen, aber das heute ging bestens. Die Bezeichnung «Hardergrat» ist insofern ungenau, weil die begangenen Grate Tüfengrat, Riedergrat, Briefengrat, Brienzergrat und Hardergrat gemäss Hörensagen zusammen den Brienzergrat ergeben. Aber egal, gebraucht hat er mich allemal. Die Beschreitung in der Gegenrichtung wäre für mich durchaus denkbar. Insgesamt denke ich mit geschickterer Einteilung, besserer Verpflegung und Kenntnisse über den genauen Verlauf den gesamten Grat in einer Stunde schneller begehen zu können. Bei Nässe würde ich auf eine Begehung verzichten, zwar habe ich kaum einen Fuss auf Gras gesetzt, dennoch sind Matsch und nasse Steine an einigen Stelle ungünstig. Es war für mich übrigens ein Musskriterium, dass auch am Vortag meiner Begehung trockenes bzw. sonniges Wetter ohne Niederschlag herrschte. Das waren perfekte Bedingungen heute. Womöglich habe ich für diesen potenziell letzten Herbsttag die richtige Streckenwahl getroffen.
Souvenir eines geilen Trailruns :-)
Es ist eine wirklich phänomenale Strecke über diesen Brienzergrat. Der Beweis dafür zeigt sich an den vielen Fotos auf meinem Smartphone, meiner Zufriedenheit bei der Ankunft in Interlaken und auch die Tage danach erzählte ich noch Einigen von meinem Run. Und ja, ich habe sogar zwei Mal davon geträumt. Womöglich war der Wassermangel ein buchstäblich traumatisches Erlebnis ;-) Jetzt wo ich einen zeitlichen Anhaltspunkt erhalten habe, wäre eine Begehung mit dem Fokus auf die Zeit reizvoll. Das wird allerdings nicht so schnell passieren, denn mein Dialog mit dem Tannhorn enthielt eine Bettelei um dessen Güte, die ich nicht so schnell wieder in Anspruch nehmen werde. Anders als das Auf und Ab auf diesem Grat war dieses Erlebnis ein einziges Hoch. Ein must für jeden Trailrunner. Grandios.


PS: der folgende Bericht sowie den weiteren Verlinkungen darin lieferten die entsprechende Inspiration.

hello from the other side – Schwalmere 2’777m.ü.M.

20.09.2019
Einer meiner schönsten Ausflüge im vergangenen Jahr war derjenige vom Kiental auf die Schwalmere. Heute soll es wieder die Schwalmere sein, allerdings von der anderen Seite her. Nachdem ich meinen Wecker ignorierte, noch arbeitete und im Stau stand, erreiche ich mittags Zweilütschinen. Alternativprogramm ist vermutlich die falsche Beschreibung, dennoch war mein eigentlicher Plan für heute der Hardergrat. Dennoch ohne schlechte Gefühle jogge ich auf 670m.ü.M. los.
geiler Trail in Richtung Lobhörner
Die paar hundert Meter über die Kiesstrasse lasse ich es gemütlich angehen, Aufwärmen sozusagen. Dann beginnt die Steigung in Richtung Isenfluh. Im Wald verläuft der Weg über Steine, mal im engen Zickzack, mal im weitläufigeren Ziiickzaaack. Mein Puls erreicht ungeahnte Höhen, und das nach wenigen Minuten. Ein paar halbpatzige Versuche, etwas gelassener und mit tieferen Puls unterwegs zu sein, scheitern kläglich. Schnell bin ich nicht, nur fürs Protokoll, aber mein Puls benimmt sich so, als würde ich den Niesen auf Tempo seckle. Ich verlasse den Wald, kreuze die Strasse und sehe erste Häuser. Nach 29min ereiche ich Isenfluh. Die munzige Seilbahn lasse ich natürlich links liegen, stattdessen jogge ich weiter der Strasse entlang, bis der Wanderweg Fortsetzung findet. Eine ungewollte Pause später wegen offenbarer Orientierungslosigkeit setze ich meinen hochpulsigen Lauf fort. Der folgende Abschnitt verläuft über Kies und Steine, mässig steil. Die paar wunderbaren Meter, wo überall ringsherum Moos wächst und jegliche Ausprägungen der Farbe Grün ein tolles Bild ergeben, sind schnell vorbei. Eine kurze Treppe nehme ich im Laufschritt, die ich anschliessend mit einer kurzen Pause büssen muss. Selbst die flachen Abschnitte, die zum Verschnaufen einladen, lassen meinen Puls weniger sinken als erhofft. Wo der Wald endet, da beginnt ein toller Trail über eine Wiese in Richtung Bach. Hier herrschte am Anfang der Laufsaison eine tolle Stimmung, denn der liegen gebliebene Schnee traf auf den herannahenden Sommer. Einige Minuten später erreiche ich das Sulsseewli. Bis hier sind 1h21 vergangen. Dass mir zunehmend die Puste ausging, habe ich früh bemerkt. Dennoch bin ich ziemlich darüber enttäuscht, bis hierhin länger gebraucht zu haben als anfangs Saison.
z'Seeli näbder Lobhornhütte
Am Brunnen trinke ich einen Magen voll Wasser. Es kommt mir nicht in den Sinn, meinen Beutel aufzufüllen. Viel getrunken habe ich noch nicht, aber aus lauter Idiotie schüttete ich vor dem Start in Zweilütschinen reichlich Wasser aus dem Beutel, weil er sich zu schwer anfühlte. Den Abstecher zur Lobhornhütte lasse ich aus. Stattdessen sind die Lobhörner mein Zwischenziel. Bis zur Schwalmere sind ab hier 3h30 Wanderzeit angegeben. Ich mache mich auf den Weg, beginnend im Joggingschritt. Bald darauf muss ich aufgeben und Marschieren ist angesagt. Dummerweise zeigt jetzt mein Puls (immer noch) viel mehr an als üblich. Auf einer kleinen Erhebung zeigt sich mir ein gigantisches Bild von EJM (Eiger, Mönch und Jungfrau). Bis zu den Lobhörnern halte ich durch, dann raste ich einen Moment. Ich merke, zu wenig Wasser bei mir zu tragen, deswegen gehe ich sparsam damit um, was wiederum meinem Durst eher schlecht als recht entgegenwirkt. Beim Vorbeigehen an den Lobhörnern erwarte ich vergebens die im Web beschriebene schwierige Stelle. Ausser potenziellen Steilschlägen sehe ich hier nichts Gefährliches. Zwar sind es nur geschätzte 200m bis zum kleinen Lobhorn, das genügt mir allerdings, mich zu verlaufen. Unterhalb des Wanderwegs quere ich Geröll, schreite dann wieder ein paar Meter ziemlich steil hinauf, damit ich wieder auf dem Weg bin.

genau gstoppt

verbi ade Lobhörner (Bild vom Rückweg)
Hier auf 2'420m.ü.M. wo eine Bergabpassage beginnt, pausiere ich nochmals. Ja, heute geht wenig. Food, Wasser und Gel sind auch wirkungslos. Ich kann nicht mal sagen, zu schnell gestartet zu sein, sondern unabhängig vom Tempo mag ich heute nicht wirklich. Selbst abwärts fällt mir das Joggen schwer. Achja, bei den Lobhörnern schaue ich mir den Wegverlauf zur Sulegg an. Räphu & Rebi waren im Juli dort, aber vermutlich muss ich das auf einen anderen Tag verschieben. Bis hierhin stoppe ich übrigens auf die Hundertstelsekunde genau 2 Stunden Lauf- bzw. Marschierzeit. Der Beginn des Gegenanstiegs zur Schwalmere beginnt sanft. Mein Tagesziel scheint noch in weiter Ferne zu sein. Im eigentlichen Jogginggelände marschiere oder besser gesagt trödle ich von Steinmanndli zu Steinmanndli. Mit der richtigen Steigung beginnt auch das Geröll. Gefällt mir. Die karge Landschaft bringt ironischerweise Abwechslung. Die Zeit vergeht wie im Flug. Das Schneefeld auf dem Sattel, von dem aus es noch genau 100m auf den Gipfel sind, scheint nun nahe zu sein. Eine weitere Pause später wandere ich zum Schneefeld, kreuze es und nehme die letzten Meter unter die Füsse.

s'geit no es Bitzli bis uf z'Güpfi
Nach 2h36 erreiche ich die Schwalmere auf 2’777m.ü.M. Es war ein Kraftakt hierhin, etliche ungewollte Kurzpausen machte die Sache müssig. Jetzt, wo ich hier oben diese Aussicht sehe, ist alles verflogen. Es ist wahrlich der beste Blick auf EMJ überhaupt. Man schaut hier auf das scheinbar kleine Morgenberghorn herab. Der aus weiter Ferne sichtbare Hardergrat löst in mir keinerlei Reue aus, im Gegenteil, angesichts meiner Verfassung bin ich froh, von etlichen zusätzlichen Höhenmetern sowie einer deutlich längeren Distanz abgesehen zu haben. Das intensive Laufgefühl vom Vorjahr fehlt schon ein bisschen und auch die Tatsache, einen Ort ein erstes Mal zu entdecken oder eben wie heute wieder herzukommen ist eine andere Sache. Aber das wertet den heutigen Tag, insbesondere die fabulöse Aussicht hier kes Müggefützi ab. Mir gfauts hie. Seit der Abzweigung unweit der Lobhornhütte begegnete mir keine Menschenseele mehr.

hallo chlins Morgeberghorn
was fürne Ussicht

EJM
Mit den letzten Tropfen Wasser spüle ich ein Linzertörtli runter, dann mache ich mich auf den Rückweg. Jetzt kommen über 2'000 Meter bergab verteilt auf rund 11 Kilometer. Ich freue mich. Übers Schneefeld springe ich wie ein verspielter Welpe. Übers Geröll bin ich meist vorsichtig und gemütlich unterwegs. Bevor die Gegensteigung zu den Lobhörnern beginnt, erfreue ich mich der herbstlich werdenden, richtig flowigen und schönen Wiese. Toll. An deren Ende beginnt der kurze Anstieg von gut 100 Höhenmeter, bevor ich die in Angriff nehme, nehme ich mir noch Zeit zu Posieren vor Eiger, Mönch und Jungfrau. Kurz darauf setze ich meinen leidenden Marschgang fort, zottle vorbei an den Lobhörnern (dieses Mal auf und nicht neben dem Wanderweg).

Poser

es grandioses Panorama
Die Sonne verschwindet hinter dem Lobhorn, erste Schatten bilden sich. Neben dem Seeli beim Brunnen fülle ich den Beutel auf und trinke einen Magen voll Wasser. Läck tuet das guet. Richtig gestärkt nehme ich den Rest in Angriff. Dieser «Rest» ist signalisiert mit 2h30 bis Zweilütschinen, bin schliesslich noch auf 1’980m.ü.M. Nun habe ich es eilig, will ich doch noch Eishockey schauen gehen. Bis Isenflueh komme ich gut vorwärts, ohne Risiko aber zügig naht sich das Ende meines heutigen Trailruns. Im letzten Waldabschnitt ist über die mühsamen Steine nochmals Vorsicht geboten.
Lobhorn

chum, es Biud geit no ;-)
Dann, nach 4h04 Laufzeit (netto) erreiche ich meine parkierte Karre in Zweilütschinen. Ebenso wunderbare wie anspruchsvolle 2'366 Höhenmeter und 22,6 Kilometer liegen hinter mir. So früh ausgepowert wie heute war ich selten noch, trotzdem zeigte sich heute, dass man bei konstantem Tempo gut vorankommt. Die Schwalmere hat sich auf jeden Fall gelohnt. Gerne möchte ich mal im Winter hier herkommen. Eine unschlagbare Aussicht, tolles Gelände und Einsamkeit pur, das ist, was mir hier besonders gefällt. Auf ein andermal…



ein Troll gesichtet @ Rottalhütte 2'755 m.ü.M.

14.09.2019
Der grosse Troll, der am Ende des Lauterbrunnentals haust, hat mich bisher davon abgehalten, auch nur einen einzigen Fuss tiefer in Tal zu setzen. Heute, ja heute ist es also meine Premiere, als ich mittags Stechelberg betrete. Mein Ziel ist die Rottalhütte auf 2'755m.ü.M.
toller Blick auf und in den Gletscher
Beim Parkplatz unbekannt starte ich. Zuerst über das Ende der Strasse, dann in einen Kiesweg bis zur charmant signalisierten Abzweigung zur Rottalhütte. Hier beginnt die Steigung auf einem gut ausgebauten Wanderweg mit leichter bis mittlerer Steilheit. Meine Beine scheinen noch ein bisschen was drin zu haben vom letztwöchigen Jungfrau Marathon. Die Sonne bratet schon kräftig. Heute ist mehr Sommer als Herbst, Mitte September hin oder her. Die Angabe meiner Uhr über die Dauer des ersten Kilometers ist vielversprechend. So vielversprechend, dass ich noch etwas mehr Gas gebe. Schliesslich beträgt die Distanz zur Hütte «nur» ca. 5,9 Kilometer. Auf die Höhenmeterangabe kann ich mich einmal mehr nicht verlassen, ob es am Gerät selbst liegt oder einer Unschärfe der Ortung ist mir eigentlich egal. Entlang einiger imposanter Feldwände halte ich erfolglos Ausschau nach Wingsuits auf der anderen Talseite. Nach irgendetwas über drei Kilometern gönne ich mir eine kurze Pause. Verschnaufen. Ein kurzer Check des Routenverlaufs bestätigt meine jüngste Befürchtung, dass auch die Kilometerangabe danebenliegt. Und zwar über einen Kilometer. Einen Kilometer auf drei Laufkilometer zeigt meine Uhr zu viel an. Scheibe. Das nervt nicht nur, sondern vermiest mir irgendwie die Lust. Nach einem Richtungswechsel erreiche ich ein Bödeli, von wo es über Serpentinen weiter hinauf geht. Hier überhole ich zwei Bergsteiger, die am kommenden Tag die Jungfrau besteigen werden.
auf unbekanntem Terrain ;)
Ein paar Schafe ruhen friedlich im Schatten. Eine schöne Wiese und flachere Abschnitte kommen mir entgegen, habe ich mich offenbar schon ausgepowert. Eine Bachquerung später halte ich nochmals kurz. Das Schmelzwasser kommt direkt von der Jungfrau, deren Gletscher hoch oben zu sehen ist. Darunter liegt ein gewaltiges Schneefeld, entstanden durch Lawinen und Gletscherabbrüche. Hier überhole ich wiederum Wanderer, zwei Deutsche, Vater und Sohn, mit ihnen wechsle ich ein paar Worte. Dann mache ich mich auf den Weg.
jungfräuliches Wasser
Ein freundliches Weglein Neben Grashalden, leicht steinig und umgeben von ein paar Felsen. Es kommt mir hier vor, wie in den Voralpen. An einem Felsbrocken ist der weitere Wegverlauf weiss-blau markiert. Bei der Abzweigung zur Silberhornhütte schaue ich mir deren Wegverlauf genauer an. Diverse Berichte erwähnen den anspruchsvollen Weg (T5), der direkt ein steiles Felsband quert. Imposant. Weiter geht’s: Die Steigung nimmt zu, so dass ich nun meine müden und bald leeren Beine spüre. Eine Dreiergruppe erkundigt sich nach meiner Zeit und meiner Prognose über die Ankunft. Ja, das tun sie wirklich. Ich antworte, ursprünglich von hier noch 30min bis zu Hütte kalkuliert zu haben. Im Wissen, dass ich nun langsamer unterwegs bin als erwartet, versuche ich, es gemütlich und gelassen anzugehen. Einer Felswand entlang erreiche ich kurzdarauf die Bärenflueh.
schmale Passage

Bäreflueh von unten

Bäreflueh nach den ersten Metern
Die Bärenflueh ist ein ca. 50m hohe Wand, die man mittels durchgängiger Kabel sozusagen direttissima begeht. Stets gute Tritte im Fels machen die Sache weniger anspruchsvoll als teilweise im Netz beschrieben. Bei einer Passage, wie ich mich erinnere rund 1,5m lang, beträgt die breite des Wegleins ein bisschen mehr als eine Schuhbreite, was dank dem Kabel aber auch kein Problem darstellt. Ab hier spüre ich endlich keinen inneren Zeitdruck mehr, ich freue mich über diese tolle Route, das gute Wetter, die gegenwärtige Friedlichkeit. Herrlich. Nach ein paar Metern quere ich zur Moräne, hier bietet sich mir überraschend ein toller Blick auf den Rottalgletscher. Den eindrücklichen Querspalten schenke ich ein paar Minuten Aufmerksamkeit.
in der Grossansicht lässt sich der Weg zum Silberhorn erkennen



Abschnitt kurz vo der Moräne
entlang der Moräne
Der Moräne entlang joggend, entdecke ich kurzum die Hütte. Vereinzelt flach, mal leicht steigend, einmal steiler und ein-zwei einfache Kabelpassagen später erreiche ich die Rottalhütte. Ein Trailrunner macht sich gerade auf den Rückweg. Das Hüttenwartspaar begrüsst mich mit Tee. Ich deponiere zuerst mal meinen Rucksack, bestelle, ja verlange Wasser und nehme Platz. Mit 1h54 habe ich rund eine Viertelstunde länger benötigt als erwartet. Macht nichts. Direkt unter der Hütte verläuft der Gletscher. Direkt vis-à-vis präsentiert sich die eindrückliche Felswand, sie reicht vom Louwihorn via Gletscherhorn zu Äbeniflueh. Die Aussicht auf so viel Gletscherpracht gefällt mir gut. Ich laufe noch ein paar hundert Meter weiter hinauf, hier beginnt der Weg für die Begehung der Jungfrau über den Rottalgrat.
hie chönntme verwile

schöni Gletscherwäut

Rottalhütte
Bald darauf gehe ich zurück zur Hütte. Mangels Wasservorräte schütte ich Tee rein. Etwas Festes im Bauch habe ich nun auch, das hilft für den Rückweg. Ich verweile noch rund eine Stunde, plaudere mit den zwei Bergsteigern, die unterdessen angekommen sind. Hier oben herrscht übrigens Tshirt-Wetter, toll. Irgendwann ist es an der Zeit, Heim zu gehen. Gemütlich seckle ich über die Moräne, dabei werfe ich einige Blicke auf den Gletscher. Ja, ein paar Fotostopps folgen noch. Erst dann begegnen mir die letzten zwei Wanderer der erwähnten Dreier-Wandergruppe. Teilweise machen lose Steine den Rückweg etwas müssig, das fiel mir bergauf kaum auf. Den identischen Weg retour zu nehmen, klingt zwar langweilig, man bedenke aber, manchmal ein ganz anderes Bild davon zu gewinnen vom ein und selben Wegverlauf. Einige Passagen nehme ich ganz anders war, einige habe ich seit dem Hinweg schon wieder vergessen. Beim Felsbrocken mit der Wegsignalisation muss ich schmunzeln, denn erst jetzt lese ich die Angabe «halber Weg». Meine Uhr hatte mich heute aufs Übelste reingelegt, beim Hinweg zeigte sie nämlich schon fast die Distanz des gesamten Hinwegs an. Taminomau. Egal. Bei der Bärenfleuh warte ich drei Entgegenkommende ab und höckle ein paar Minuten, bis ich diesen steilen Teil in Angriff nehme. Immer die Kabel in einer Hand zottle ich diese Passage runter, völlig gelassen und ohne Eile. Unten angekommen werfe ich nochmals einen Blick zurück. Hinauf benötigte ich übrigens weniger Zeit als hinunter.
Panorama
Ab hier variiere ich das Tempo, mal zügig, wenn der Wegverlauf es zulasst, mal locker und gemütlich über lose Steine. Verlaufen kann man sich hier eigentlich nicht mangels Wegalternativen. Vorbei an neugierig blickenden Geissen und etwas später vorbei an leicht zu erschreckenden Schafen biege ich in den letzten Abschnitt ein. Durch ein Waldstück, wo sich teilweise ein schöner Blick zum Talende ergibt und kurz darauf über einen Kiesweg erreiche ich wieder Stechelberg.
es herbstelet langsam...
Ich hatte mich auf einen etwas heftigeren Run als denjenigen auf den Niesen eingestellt. Bekommen habe ich einen ziemlich heftigeren, wenn man bedenkt, dass ich nach einem Drittel des Hinwegs eingegangen bin. Stechelberg-Rottalhütte-Stechelberg ergeben bei korrekter Zählung 12,0 Kilometer und 1’965 Höhenmeter. Wegen dem Gletscherblick und der Friedlichkeit hat sich diese Route wirklich gelohnt. Ein weiterer prächtiger Tag nimmt nach einer Laufzeit von 3h05 sein Ende. Ich bin müde, sehr müde, freue mich auf Food und natürlich auf den nächsten Run. Den einzigen Troll, den ich zu Gesicht bekam, war ich selbst…