ein Troll gesichtet @ Rottalhütte 2'755 m.ü.M.

14.09.2019
Der grosse Troll, der am Ende des Lauterbrunnentals haust, hat mich bisher davon abgehalten, auch nur einen einzigen Fuss tiefer in Tal zu setzen. Heute, ja heute ist es also meine Premiere, als ich mittags Stechelberg betrete. Mein Ziel ist die Rottalhütte auf 2'755m.ü.M.
toller Blick auf und in den Gletscher
Beim Parkplatz unbekannt starte ich. Zuerst über das Ende der Strasse, dann in einen Kiesweg bis zur charmant signalisierten Abzweigung zur Rottalhütte. Hier beginnt die Steigung auf einem gut ausgebauten Wanderweg mit leichter bis mittlerer Steilheit. Meine Beine scheinen noch ein bisschen was drin zu haben vom letztwöchigen Jungfrau Marathon. Die Sonne bratet schon kräftig. Heute ist mehr Sommer als Herbst, Mitte September hin oder her. Die Angabe meiner Uhr über die Dauer des ersten Kilometers ist vielversprechend. So vielversprechend, dass ich noch etwas mehr Gas gebe. Schliesslich beträgt die Distanz zur Hütte «nur» ca. 5,9 Kilometer. Auf die Höhenmeterangabe kann ich mich einmal mehr nicht verlassen, ob es am Gerät selbst liegt oder einer Unschärfe der Ortung ist mir eigentlich egal. Entlang einiger imposanter Feldwände halte ich erfolglos Ausschau nach Wingsuits auf der anderen Talseite. Nach irgendetwas über drei Kilometern gönne ich mir eine kurze Pause. Verschnaufen. Ein kurzer Check des Routenverlaufs bestätigt meine jüngste Befürchtung, dass auch die Kilometerangabe danebenliegt. Und zwar über einen Kilometer. Einen Kilometer auf drei Laufkilometer zeigt meine Uhr zu viel an. Scheibe. Das nervt nicht nur, sondern vermiest mir irgendwie die Lust. Nach einem Richtungswechsel erreiche ich ein Bödeli, von wo es über Serpentinen weiter hinauf geht. Hier überhole ich zwei Bergsteiger, die am kommenden Tag die Jungfrau besteigen werden.
auf unbekanntem Terrain ;)
Ein paar Schafe ruhen friedlich im Schatten. Eine schöne Wiese und flachere Abschnitte kommen mir entgegen, habe ich mich offenbar schon ausgepowert. Eine Bachquerung später halte ich nochmals kurz. Das Schmelzwasser kommt direkt von der Jungfrau, deren Gletscher hoch oben zu sehen ist. Darunter liegt ein gewaltiges Schneefeld, entstanden durch Lawinen und Gletscherabbrüche. Hier überhole ich wiederum Wanderer, zwei Deutsche, Vater und Sohn, mit ihnen wechsle ich ein paar Worte. Dann mache ich mich auf den Weg.
jungfräuliches Wasser
Ein freundliches Weglein Neben Grashalden, leicht steinig und umgeben von ein paar Felsen. Es kommt mir hier vor, wie in den Voralpen. An einem Felsbrocken ist der weitere Wegverlauf weiss-blau markiert. Bei der Abzweigung zur Silberhornhütte schaue ich mir deren Wegverlauf genauer an. Diverse Berichte erwähnen den anspruchsvollen Weg (T5), der direkt ein steiles Felsband quert. Imposant. Weiter geht’s: Die Steigung nimmt zu, so dass ich nun meine müden und bald leeren Beine spüre. Eine Dreiergruppe erkundigt sich nach meiner Zeit und meiner Prognose über die Ankunft. Ja, das tun sie wirklich. Ich antworte, ursprünglich von hier noch 30min bis zu Hütte kalkuliert zu haben. Im Wissen, dass ich nun langsamer unterwegs bin als erwartet, versuche ich, es gemütlich und gelassen anzugehen. Einer Felswand entlang erreiche ich kurzdarauf die Bärenflueh.
schmale Passage

Bäreflueh von unten

Bäreflueh nach den ersten Metern
Die Bärenflueh ist ein ca. 50m hohe Wand, die man mittels durchgängiger Kabel sozusagen direttissima begeht. Stets gute Tritte im Fels machen die Sache weniger anspruchsvoll als teilweise im Netz beschrieben. Bei einer Passage, wie ich mich erinnere rund 1,5m lang, beträgt die breite des Wegleins ein bisschen mehr als eine Schuhbreite, was dank dem Kabel aber auch kein Problem darstellt. Ab hier spüre ich endlich keinen inneren Zeitdruck mehr, ich freue mich über diese tolle Route, das gute Wetter, die gegenwärtige Friedlichkeit. Herrlich. Nach ein paar Metern quere ich zur Moräne, hier bietet sich mir überraschend ein toller Blick auf den Rottalgletscher. Den eindrücklichen Querspalten schenke ich ein paar Minuten Aufmerksamkeit.
in der Grossansicht lässt sich der Weg zum Silberhorn erkennen



Abschnitt kurz vo der Moräne
entlang der Moräne
Der Moräne entlang joggend, entdecke ich kurzum die Hütte. Vereinzelt flach, mal leicht steigend, einmal steiler und ein-zwei einfache Kabelpassagen später erreiche ich die Rottalhütte. Ein Trailrunner macht sich gerade auf den Rückweg. Das Hüttenwartspaar begrüsst mich mit Tee. Ich deponiere zuerst mal meinen Rucksack, bestelle, ja verlange Wasser und nehme Platz. Mit 1h54 habe ich rund eine Viertelstunde länger benötigt als erwartet. Macht nichts. Direkt unter der Hütte verläuft der Gletscher. Direkt vis-à-vis präsentiert sich die eindrückliche Felswand, sie reicht vom Louwihorn via Gletscherhorn zu Äbeniflueh. Die Aussicht auf so viel Gletscherpracht gefällt mir gut. Ich laufe noch ein paar hundert Meter weiter hinauf, hier beginnt der Weg für die Begehung der Jungfrau über den Rottalgrat.
hie chönntme verwile

schöni Gletscherwäut

Rottalhütte
Bald darauf gehe ich zurück zur Hütte. Mangels Wasservorräte schütte ich Tee rein. Etwas Festes im Bauch habe ich nun auch, das hilft für den Rückweg. Ich verweile noch rund eine Stunde, plaudere mit den zwei Bergsteigern, die unterdessen angekommen sind. Hier oben herrscht übrigens Tshirt-Wetter, toll. Irgendwann ist es an der Zeit, Heim zu gehen. Gemütlich seckle ich über die Moräne, dabei werfe ich einige Blicke auf den Gletscher. Ja, ein paar Fotostopps folgen noch. Erst dann begegnen mir die letzten zwei Wanderer der erwähnten Dreier-Wandergruppe. Teilweise machen lose Steine den Rückweg etwas müssig, das fiel mir bergauf kaum auf. Den identischen Weg retour zu nehmen, klingt zwar langweilig, man bedenke aber, manchmal ein ganz anderes Bild davon zu gewinnen vom ein und selben Wegverlauf. Einige Passagen nehme ich ganz anders war, einige habe ich seit dem Hinweg schon wieder vergessen. Beim Felsbrocken mit der Wegsignalisation muss ich schmunzeln, denn erst jetzt lese ich die Angabe «halber Weg». Meine Uhr hatte mich heute aufs Übelste reingelegt, beim Hinweg zeigte sie nämlich schon fast die Distanz des gesamten Hinwegs an. Taminomau. Egal. Bei der Bärenfleuh warte ich drei Entgegenkommende ab und höckle ein paar Minuten, bis ich diesen steilen Teil in Angriff nehme. Immer die Kabel in einer Hand zottle ich diese Passage runter, völlig gelassen und ohne Eile. Unten angekommen werfe ich nochmals einen Blick zurück. Hinauf benötigte ich übrigens weniger Zeit als hinunter.
Panorama
Ab hier variiere ich das Tempo, mal zügig, wenn der Wegverlauf es zulasst, mal locker und gemütlich über lose Steine. Verlaufen kann man sich hier eigentlich nicht mangels Wegalternativen. Vorbei an neugierig blickenden Geissen und etwas später vorbei an leicht zu erschreckenden Schafen biege ich in den letzten Abschnitt ein. Durch ein Waldstück, wo sich teilweise ein schöner Blick zum Talende ergibt und kurz darauf über einen Kiesweg erreiche ich wieder Stechelberg.
es herbstelet langsam...
Ich hatte mich auf einen etwas heftigeren Run als denjenigen auf den Niesen eingestellt. Bekommen habe ich einen ziemlich heftigeren, wenn man bedenkt, dass ich nach einem Drittel des Hinwegs eingegangen bin. Stechelberg-Rottalhütte-Stechelberg ergeben bei korrekter Zählung 12,0 Kilometer und 1’965 Höhenmeter. Wegen dem Gletscherblick und der Friedlichkeit hat sich diese Route wirklich gelohnt. Ein weiterer prächtiger Tag nimmt nach einer Laufzeit von 3h05 sein Ende. Ich bin müde, sehr müde, freue mich auf Food und natürlich auf den nächsten Run. Den einzigen Troll, den ich zu Gesicht bekam, war ich selbst…