«Attack», hetmi Tinu am Vorabe ufgforderet. Auso machemer o
Attack! Auf meine vierte Teilnahme am Matterhorn Ultraks freue ich mich
ungemein. Erstens stellen die 49 Kilometer Laufdistanz, 3'600 Höhenmeter hinauf
und hinunter sowie die maximale Höhe von 3’130 Meter über Meer mich immer
wieder auf die Probe, ja es ist mein alljährliches Saisonhighlight. Zweites
fieberte ich im Frühsommer regelrecht mit dem Entscheid mit, ob der Lauf
überhaupt stattfindet oder wie andere tolle Events ins Wasser fällt. Drittens,
es ist Zermatt.
Nun, ich nehme mir vor, etwas schneller zu starten als vor Jahresfrist. Um 07:15 Uhr erklingt dann für mich in der vierten Gruppe des Blockstarts das Startsignal. An zwei Stellen der Sky-Laufstrecke entstand in den Vorjahren Stau, deswegen Reihe ich mich zuvorderst ein. Nach dem Abwurf der Maske beginnt der erste Kilometer durchs Dorf. Ausser, dass ein Läufer regelrecht ab geit wines Zäpfli beginnt alles normal. Mein Puls schlägt schon ein bisschen Höher als sonst. Anfangsnervosität und so. Der Beginn eines solchen Laufes bringt immer ein spezielles Gefühl mit sich, man weiss schliesslich um die vielen Erlebnisse und unterschiedlichen Gefühlslagen, die der lange Lauftag noch bringen wird. Da die anderen Läufer meiner Gruppe verhalten starten, bin ich bald alleine unterwegs. Es fühlt sich an, wie vor einigen Wochen, als ich trainingshalber früh morgens hier unterwegs war, von Competition-Feeling keine Spur. Ich bin dennoch bestens unterhalten, denn anders als im Vorjahr jogge ich die Anfangssteigung hoch. Nach den ersten Kilometern überhole ich die hintersten Läufer der Gruppe, die 5 Minuten vor mir startete. Mir schwant Böses, denn im baldigen Singeltrail, dem flachen Gourmetweg, verliert man im Gedränge unnötig Zeit. Es kommt aber ganz anders, so dass ich ausser gelegentlichen Überholmanövern einsam unterwegs bin. Erst in der Schlusssteigung nach Sunnegga beginne ich zu marschieren, dann beginnt für ein paar Minuten der Gänsemarsch, bei dem sich die Läufer aus nächster Nähe hintereinander auf den Po schauen (gilt nicht für mich, ich widme meine Aufmerksamkeit den ersten Sonnenstrahlen am Zermatter Stockhorn ;-). Auf 2'260m.ü.M. und nach 7,5Km passiere ich die erste Zeitmessung nach 1h01, über 5min früher als im Vorjahr. Zwischenrang 103.
Im kurzen Downhill verpflege ich mich. Wasser mit Geheimfood. Bestens erinnere ich mich an meine erste Teilnahme zurück, als ich genau hier ehrfürchtig den Aufstieg zum Gornergrat in Angriff nahm. Zügig aber ohne zu übertreiben marschiere ich munter weiter, überhole einige Läufer des dritten oder sogar zweiten Startblocks. Sie sind ja alle irgendwie Gleichgesinnte und Gegner zugleich. Heute fehlt der übliche Dulix-Geruch in der Luft, denn die Meute verteilt sich bestens, keine Anzeichen von Gedränge oder Gerangel. Gefällt mir. Das wechselhafte Wetter bringt angenehme Temperaturen mit sich, mal Sonnenschein, mal Wolken, mal ein bisschen Wind, auf der anderen Talseite verhangen und Nebel, das wird sicherlich keine Hitzeschlacht heut’. Noch ohne einen einzigen Schnappschuss erreiche ich bald den letzten Kilometer vor dem Gornergrat. Ich bin nahe am ersten Checkpoint und dennoch so weit weg, denn die Schlaufe in Richtung Hohtälli und der dazugehörige Anstieg über Schutt und Geröll gredi ufe Grat nehmen deutlich mehr Zeit in Anspruch als man meinen mag. Ja, hier in der Todeszone auf über 3’000m.ü.M. spüre ich die Höhe immer ein bisschen. Mit über 12min Vorsprung auf Vergangenheits-Päscu und Zwischenrang 90 pausiere ich kurz. Gänsehaut pur, nicht wegen der Emotionen oder der tollen Gletschersicht, sondern wegen kühlen Temperaturen. Bis jetzt läuft es gut, wenn auch der Start etwas zu schnell zu scheinen mag.
Selbst im Downhill nach Riffelberg begegne ich wenig Mitläufern. Die Wegbeschaffenheit erfordert etwas Vorsicht, die losen Steine verleiten dazu, sich die Gelenke zu verknacksen. Schon wieder vergessen ist die temporäre Müdigkeit im rechten Bein (Dysbalance oder WTF?!), die kurz vor dem Gornergrat auftrat. Im flotten Tempo purzeln die Kilometer. So soll es auch sein, denn ich sage mir, je schneller ich aus der Todeszone raus bin, desto weniger Energie geht verloren. Trailrunning pur, ja so alleine über abwechslungsreiche und schnelle Wanderwege läuft es sich richtig gut! Zwischen Riffelberg 2’582m.ü.M. und der Riffelalp 2’222m.ü.M. tauche ich in eine Nebelbank ein. Die verblüffende und schon fast mystische Stille hilft dabei, alles Unnötige zu vergessen. Wer hier mehr als an Trailrunning denkt, der denkt zu viel. Ich habe meinen Spass, es fägt ungemein. Die 908 Höhenmeter Downhill bis Riffelalp sind innert 34min passé und es geht noch weiter. Am Verpflegungsposten werfe ich etwas Banane und Wasser rein, ich bin schliesslich noch satt vom Linzertörtli. Die Beine sind frisch, wiederum habe ich 5min rausgeholt. Zwischenrang 81.
Auf einen kurzen Zwischenanstieg und flache Passagen folgt der technische Teil der Strecke hinunter zur Hängebrücke. Regentropfen machen die Steine glitschig, die hohen Tritte mahnen zur Gelassenheit. Wo sonst Gedränge herrscht, zottle ich heute einsam weiter. Ganz vereinzelt mache ich Plätze gut, überholt wurde ich höchstens mal am Verpflegungsposten. Nochmal, es kommt mir vor wie ein Trainingslauf, ich meine das im Positiven. Vom Gornergletscher tost Schmelzwasser durch die Schlucht, hier will ich weder baden noch böötle. Bald überholt mich der Leader der kürzeren Distanz in irrsinnigem Tempo. Ich befürchte schon, der nächste Streckenabschnitt wird demotivierend, wer will schon ständig überholt werden. Zu zweit passieren wie die Hängebrücke, Zeit für ausschweifende Rundumblicke fehlen heute. Nach 3h46 erreiche ich Furi 1’867m.ü.M., Zwischenrang 73, der Zeitvorsprung auf meine 2019er Zeit beträgt 23min.
Der folgende, heftige Anstieg zum Schwarzsee auf 2'583m.ü.M. hat es in sich. Hier zeigen sich Reserven und Energiehaushalt. Ich spüre etwas Müdigkeit und verhärtete Beine. Nun, gleich zu Beginn ist der Weg wohl am steilsten. Entsprechend wähle ich ein Tempo mit Reserve, zu gross das Risiko, mich hier auszupowern. Zwischenzeitlich flacht der Weg ab, ich fühle mich bestens, überhole ein paar wenige, manchmal leidende Läufer. Mit frischen Beinen liesse es sich natürlich wesentlich besser marschieren, ja hier könnte ich bestens hochjoggen wie die Topläufer der kürzeren Distanz. Aber eben, bald erreiche ich die 30km Marke und ja, einige Höhenmeter habe ich schon hinter mir. Deswegen überrascht mich, in diesem Aufstieg, kaum überholt zu werden. Der Schlussanstieg raubt nochmals kräftig Energie, ä Souhund isches. Ja, die Laufzeit für diesen einen Kilometer behalte ich für mich... Ich fühle mich ziemlich gut, habe genügend getrunken, die kurzen Hungergefühle sind auch wieder verschwunden, dennoch tritt etwas Müdigkeit auf. Ob mir Salz oder Zucker fehlt, weiss ich nicht wirklich, aber der Verpflegungsposten und somit auch der nächste Checkpoint ist bald erreicht. Zwischenrang 79, Zeitvorsprung 29min. 20 Kilometer to go. Hier beginnt sozusagen ein neues Rennen.
Bouillon ist der Hit. Auch heute hilft mir das Gesöff mich
wieder besser zu fühlen. Hinunter zur Stafelalp würde ich gerne schneller
unterwegs sein, ja ich ahne schon einen Einbruch. Erst mit etwas Hirnschmalz kommen
die Erinnerung an die Vorjahre und die damaligen Ermüdungserscheinungen, die ja
völlig natürlich sind. Alles gut, ich bin auf Kurs. Positiv bleiben und weiter geht’s.
Nun zeigt sich wieder die Sonne, ja es drückt richtig. Wolken und Nebel
weichen, das Matterhorn zeigt sich. Hier unten im steinigen Flussbett wird mir
ziemlich heiss. Das ändert sich auch nicht bis zum Beginn des Höhenwegs.
Eigentlich heisst er ja Teufelsweg, denn ich bin seit meiner ersten Teilnahme
auf Teufelskurs mit diesem nie enden wollenden Anstieg, der erst spät einem (eigentlich)
geilen Trail weicht. Das «eigentlich» ist optional, denn wer gegen 40Km und
über 3'000Hm in den Beinen hat, der weiss wovon ich spreche. Nun mache ich mal
wieder die Erfahrung von Müdigkeit, die solche Distanzen einfach mit sich
bringen. Sie widerspiegelt sich in bescheidenen Tempo im Flachen, etwas
Unzufriedenheit und fehlenden Möglichkeiten zur Temposteigerung. Es ist die
Vorstufe von Leiden, wovon ich schon noch ein bisschen entfernt bin. Leiden
muss auch nicht unbedingt gleichbedeutend sein mit Lahmen. So motiviert mich stets
der zwischenzeitliche Zeitvorsprung. Solche positiven Gedanken sind wie Stimmungsanker.
Imposant, ja majestätisch thront das Matterhorn im Nacken, wobei das Smartphone
gut im kleinen 3-Liter-Rucksack verstaut ist und es auch bleibt. Iiiiirgendwann
endet auch der schier nie enden wollende Teufelsanstieg, der flache Abschnitt
beginnt bei Höhbalmen 2’665m.ü.M. Hätte ich mehr solche Distanzen in den
Knochen, liesse es sich besser leiden, ergo schneller rennen. Ich hadere aber
nicht, sondern mache einfach weiter. Es geht nun bergab, nicht psychisch,
sondern der Wegverlauft verläuft zunehmend steiler hinunter zum Hotel du Trift.
Vorher fordere ich einen Läufer auf, wieder aufzustehen, denn will er
aufgeben, obwohl es nur noch geschätzte 150 Höhenmeter hinaufgeht.
Kilometer 41,6 und 36min Vorsprung, Zwischenrang 74. Wer es bis hierhin schafft, der schafft es ins Ziel. Meinen 3dl-Beutel fülle ich dreimal nach, dazu gibt’s eine Orange, die wirklich erfrischt. Dann nehme ich voller Vorfreude den allerletzten Abschnitt in Angriff. Das Weglein mit leichter Steigung wäre rennbar, aber es fällt mir heute schwer ... zu schwer. Also nehme ich marschierend die Wanderwegbeschilderung in der Ferne in den Fokus. Ab dort geht’s schliesslich nur noch bergab. So still und einsam das Rennen bisher war, so wenig Gedanken schiessen mir heute durch den Kopf, es herrscht sozusagen Gedankenstille. Deswegen erreiche ich fast unbemerkt den letzten Peak und nehme den Downhill in Angriff. Die Ränge sind bezogen, mini Bei möge scho no – dennoch ist es Zeit, die letzten Meter zu geniessen, nur keine Hektik oder Risiko mehr. Der Wisshornweg durch die Lawinenverbauungen gefällt mir gut. «2km to go» lese ich früher als erwartet, dann geht alles plötzlich schnell. Bei strahlendem Sonnenschein biege ich in die Bahnhofstrasse ein, höre die Lautsprecher im Zielgelände. Die letzten Meter sind schliesslich die leichtesten...
Nach 7h24 erreiche ich das Ziel. Die Bilanz: Kategorienrang
26 von 150, Gesamtrang 73 von 500 Teilnehmern. 39:22 Minuten Zeitvorsprung aufs
Vorjahr. Der schnellere Start hat sich als grosser Hebel dargestellt, nicht nur
zeitlich, sondern als Motivation zerrte ich während des Laufes immer wieder vom
grösser werdenden Zeitpolster. In guter Verfassung fachsimple ich mit meinen
Liebsten im Zielbereich, lasse die Geschehnisse noch einmal Revue passieren und
freue mich selbst ab meiner Leistung. Selbst-Highfive! Ein paar Deziliter Boullion,
zwei Snickers, ein Linzertörtli, ein Stück Banane, 3 Energiegels, eine Orange
und rund 3 Liter Wasser trugen mich schadlos über diese wunderbare Strecke. Ein
geglücktes Saisonhighlight, auf das ich mich monatelang freute, liegt nun schon
in der Vergangenheit. Der Matterhorn Ultraks ist was er ist: hart – phänomenal
– und mein liebster. Ein birebitzeli ärgert mich, meine gute Form dieses Jahr leider
nicht am Jungfrau Marathon zeigen zu können. Bevor ich mich weiterärgere, ist
es endlich Zeit für ein Pasta-freies Essen. Der Rest des Wochenendes gilt der
Erholung für Seele und Körper. Halleluja!
PS: am Folgetag fühlen sich meine Beine so gut an wie noch
nie nach dem Ultraks. Die 14 Trainingseinheiten am Niesen scheinen geholfen zu
haben.
PPS: bis gli, Zermatt.