Gasterntal - Lötschenpass - Hockenhorn 3'293m.ü.M.

04.08.2019
Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo das Gasterntal daher. Nach dem gestrigen Run aufs Barrhorn 3'610m.ü.M. machte ich mich zögerlich auf den Weg nach Hause. Ich bemühte mich noch vergeblich um eine preiswerte Unterkunft im Wallis. Ein weiterer Prachtstag wie heute lasse ich mir dennoch nicht entgehen und so mache ich mich heute wieder auf in Richtung Wallis. Zumindest zur Kantonsgrenze. Ich bin wahrlich einer von Vielen, die heute nach Kandersteg wollen. Blausee und Oeschinensee werden hier von etlichen Mietwagen mit AI-Kennzeichen angefahren, ich nerve mich über die (zu) langsamen Autofahrer. Wir können natürlich alle statt 50 nur 30 fahren, ist gut für die Umwelt. Jedenfalls ist der halbe Tag bereits passé, da mache ich über die abenteuerliche Strasse von Kandersteg ins Gasterntal. Für den Strassenunterhalt wird eine Gebühr verlangt. Da das Kreuzen auf der schmalen Bergstrasse unmöglich ist, kann jeweils nur während 20min in die eine Richtung gefahren werden. Die in den Fels gehauene Strasse ist tatsächlich eindrücklich. Am Talende nach Selden parkiere ich meinen Schlitten auf etwas über 1'500m.ü.M.
König der Alpen
Mein Ziel ist der Lötschenpass. Mein üppig gefüllter Wasserbeutel muss noch etwas Gewicht verlieren, so weit soll es ja heute nicht gehen und oben ist schliesslich Nachfüllen in der Hütte möglich. Ich starte, ein paar lockere Meter flach, passiere die Brücke über die Kander und erreiche den Wanderweg. Steil und schier endlos sei er gemäss Berichten im sogenannten Internet. Bisher geht es also noch gut mit der Steilheit. Das Weglein ist gut unterhalten, immer schön im Zickzack hinauf bin ich froh um die Schicht Sonnencreme im Nacken. Trotz müder Beine könnte ich schneller, habe aber keine Ahnung wie der Weg bis nach oben verläuft. Gelegentlich überhole ich Wanderer, die gemäss Internetberichten um diese Jahreszeit scharenweise den Lötschenpass beschreiten. Davon merke ich wenig. Nach kurzer Zeit bin ich bereits vorbei an der Gfelalp 1'847m.ü.M., ab hier wird der Weg etwas steiniger. Der Blick zum Kanderfirn, die andere Talseite, gefällt mit gut. Der Wanderweg zum Gletscher bestens erkennbar.
eindrückliche Bergstrasse im Fels

Kandefirn
Gletscherwasser
Bald erreiche ich einen flachen Abschnitt, sozusagen ein Talboden, wo an dessen Ende das Gletscherwasser runterdonnert. Oder plätschert? Mir kommt kein geeignetes Wort dazwischen in den Sinn. Jedenfalls weiche ich kurz darauf vom Wanderweg ab, etliche Kühe blockieren ihn und machen es sich hier gemütlich. Ich spüre selbstverständlich die Müdigkeit in meinen Beinen, wer schnell wandert wäre jedenfalls gleich schnell als ich, vermutlich sogar schneller. Über etwas Geröll und zwei Rinnen ist bald die Höhe der Gletscherzunge erreicht. Hier verschaffe ich mir kurz ein Bild über den weiteren Wegverlauf. Vor mir sind ein paar Wanderer zu sehen, aber das interessiert mich wenig, denn es geht nun über den Gletscher. Oder über das, was vom Gletscher übrige geblieben ist. Stangen markieren den Weg bestens, eigentlich läuft man hier hauptsächlich über Geröll, gelegentlich lugt ein bisschen Eis hervor. Bäche bilden schöne Formen ins Eis. Bald erreiche ich die andere Seite der Moräne, werfe einen Blick zurück und erkenne die Spalten weiter oben. Hier pausiere ich kurz. Die fast senkrechte Wand des Balmhorns wirkt gewaltig, beeindruckend. Mit hohem Puls nehme ich die nächsten Meter über Felsplatten. Die folgenden Passagen sind mit Seilen gesichert, sind aber kein Problem. Zwei ausländische Wanderer zeigen mir aus weiter Ferne die beiden Steinböcke, aber ich hatte sie schon selbst gesehen. Die letzten Meter zur Lötschenpasshütte verlaufen flach, da mögen meine Beine noch besser. Nach 1h21 erreiche ich also den Lötschenpass auf 2'690m.ü.M. Einige Bergfreunde verweilen oben, weniger als erwartet. Hier liegt sogar noch etwas Altschnee. Ein Stück Kuchen, ein Wasser und ein Gespräch mit einer sympathischen Familie später überlege ich mir, was ich mit dem angebrochenen Nachmittag noch anfange. Es ist mir eigentlich zu früh, um umzukehren. Das Hockenhorn ist mit 2h Wanderzeit angegeben. Chum mir mache das ono.
Überreste des Gletschers

Lötschenpass

chli Schnee hets no

Balmhorn
Also trabe ich kurzum weiter über ein Schneefeld. Hier auf dem Lötschenpass spüre ich jedenfalls nichts vom Autozug, der direkt unter mir verläuft. Die Wegfindung ist eigentlich einfach, blau-weiss markierte Steine zeigen den Weg. Über ein paar Felsplatten verliere ich gelegentlich die Spur, doch verlaufen kann man sich hier kaum. Etliche Wege führen immer wieder zum Hauptweg. Hier dominieren die Farben Grau, Braun und Weiss. Die leichte Steigung ermöglicht mir noch zu joggen, trotz Müdigkeit und baldiges Erreichen der 3'000er Grenze. Das Hockenhorn zeigt sich mir, vermutlich geht es am Ende noch einmal richtig steil hinauf. Bis Punkt 3'120 kann ich joggen, dann fängt das richtig an. Bestens markiert bereitet mir die ideale Wegsuche über die grossen Steine und Felsen grosse Freude. Meine superdünnen On-Schuhe leiden sichtbar auf diesem schroffen Gelände. Ausgesetzte Stellen gibt es übrigens keine.
gäbiger Weg zum Hockenhorn

mir gefällt die Landschaft gut

Päscu über Stock u Stei. Hie meh Stei aus Stock.

Wegverlauf aufs Hockenhorn
Ich befinde mich nun auf den letzten paar hundert Metern. Kniehohe Tritte und gelegentlicher Handeinsatz bringt tolle Abwechslung. Skyrunning nennt man das, so glaube ich zu meinen. Die Felsblöcke kommen auf den Fotos wenig zur Geltung, eigentlich schade. Gerade als ich mich gedanklich verliere, erblicke ich das Gipfelkreuz. Nach 2h10 erreiche ich das Hockenhorn auf 3'293m.ü.M. Hier auf dem Hockengrat verläuft die Kantonsgrenze Bern-Wallis. Mir zeigt sich ein fantastisches Panorama, beginnend beim Tiefblick ins Gasterntal, über den Kanderfirn, das Aletschhorn, Matterhorn und sogar das Barrhorn erkenne ich. Jetzt muss ich mich dringend verpflegen, mein Magen wartet längst auf Nachschub. Ich geniesse die Einsamkeit hier oben, trage mich ins Gipfelbuch ein und geniesse die Aussicht. Phänomenal. So sehr ich mich über den spontanen Abstecher freue, so ärgere ich mich über das anfängliche Reduzieren meines Wasserbeutelinhalts. Mir geit z'Suufe us. Deswegen verweile ich nur kurz.
Bern und Wallis vereint

Päscu ufem Hockehorn
Den Abstieg über die Felsen nehme ich gemütlich. Hier zu eilen, in diesem Scheichenbrecher-Gelände, bringt wenig. Deswegen ist mein erster Kilometer bergab in etwa gleich langsam wie bergauf. Bald erreiche ich das leichte Geröll und jogge gemütlich runter. Zwei-drei Entgegenkommende machen sich scheinbar noch auf den Weg zum Hockenhorn oder erkunden die Gegend um die Hütte. Noch immer strahlt mir die Sonne entgegen, prächtig. Meine Hoffnung, noch ein paar Steinböcke zu sehen, wird dann erfüllt. Zwei prächtige Exemplare zeigen sich unweit vor mir. Ich halte und beobachte den König der Alpen nur zu gerne. Unweit steht noch ein dritter Steinbock, ach nein was sage ich, es sind 6, dann 7 dann 8. Sie kreuzen gerade den Wanderweg. Meine Anwesenheit scheint sie wenig zu stören. Für mich sind Steinböcke die wahren Skyrunner, so elegant und effizient wie sich sich in der Bergwelt bewegen. Ich folge ihnen ein paar Meter, dann zeigt sich mir eine ganze Kolonie mit 15 Prachtsexemplaren. Wow! Was für ein Glück ich doch habe. Ach schau dir die Fotos an. Sie strahlen solch eine Ruhe aus, sie wirkt irgendwie auch auf mich. Dann lasse ich diese wunderbaren Tiere in Ruhe, jogge weiter zur Hütte, fülle meinen Wasserbeutel auf und nehme den Rückweg in Angriff.




Steinböcke am Hockenhorn
Kurz vor dem Gletscher halte ich einen Schwatz mit einem Entgegenkommenden, der gemütlich unterwegs ist und noch nach einem Platz für sein Zelt schaut. Ihm sind keine Menschen mehr entgegen gekommen. Das mächtige Balmhorn nimmt mir auf dem Gletscher die Sonne, macht nichts, das tolle Licht macht die Atmosphäre sehr speziell. Ich beeile mich über den Gletscher. Wo beim Hinweg Kühe den Weg versperrten, sind es nun auf dem Rückweg Schafe. Ich kürze ab, gönne mir nochmals einen Fotostopp und nehme den letzten Abschnitt unter die Beine.
Run auf dem Gletscher


Blick zum Kanderfirn

letzter Eindruck
Nach 3h40 erreiche ich Selden. Absolut fantastische 18,5 Kilometer und gegen 1'900 Höhenmeter mit zahlreichen Eindrücken liegen hinter mir. Das abwechslungsreiche Gelände, von einfachen Wanderwegen über Geröll, den Gletscher, den kargen Hockengrat und das Blockgelände machten diesen Tag richtig kurzweilig. Ich freue mich wahnsinnig über die Begegnung mit dem Steinböcken, das war grandioses Timing. Solch imposante Exemplare habe ich noch nie gesehen. Im Gasterntal scheint noch die Sonne, deswegen gönne ich mir hier ein Teller Pasta. Während ich warte, gehe ich die Fotos des heutigen Tages durch und denke mir, diese spontane Route gehört zu meinen Favoriten. Fantastisch!