König der Alpen auf dem Niederhorn




16.09.2018
Blick über die Fluh zum Stockhorn

Am Samstagabend hörte ich «Hey, ich möchte mal wieder Steinböcke sehen». Das blieb mir im Ohr, also machte ich mich am Sonntag spontan auf den Weg zum Niederhorn. Naja, eigentlich sollte ich schon auf dem Weg sein für aufs Breithorn auf 4'164m.ü.M, macht nichts, denn es kam anders. In Kinderzeiten sah ich schliesslich bei Velotouren häufig Steinböcke in dieser Region. Und im vergangenen Frühling hatte ich sowieso ein kleines Aha-Erlebnis... Kam es mir bisher flach - und ja, eben niedrig - vor wie ein Hügel, zeigte sich der Wanderweg von der Beatenbucht über den Beatenberg hinauf zum Niederhorn mit fast 1'400 Höhenmetern verteilt auf 7 Kilometern als optimaler Trailrun. Etwas weniger steil als der Niesen, dafür flüssiger und gerade richtig für mich. Wäre da nicht mein verfälschtes Erinnerungsvermögen und die Bärensichtungen im Frühling gewesen, hätte es mich sicherlich das eine oder andere Mal dorthin verschlagen. Item.

Also unten beim Parking Beatenbucht geht's gleich los in den Wanderweg. Letztes Mal war ich in 01:37 oben. Damals hatte ich noch wenige Höhenmeter in den Beinen und kannte den Weg kaum (häufig lasse ich mich überraschen), dafür war die Temperatur optimal und ich hatte mich gut verpflegt. Bis auf die letzten 700m konnte ich damals alles rennen. Dieses Mal hatte ich bei der Hinfahrt mit dem Auto noch kurz eine Nussrolle gemampft, um etwas im Magen zu haben. Und wie heftig mir der Jungfrau Marathon noch in den Beinen lag, würde ich schon herausfinden. Schliesslich ist seither eine Woche vergangen, dazwischen lag ein kurzer 10km-Run, zu dem mir meine Sportuhr unverhohlen das Prädikat «Leistungszustand schlecht» verlieh.

Ich fand zügig den Rhythmus und merkte schon, dass meine Beine mehr Leistung hergeben als auch schon. Gutes Gefühl. Obacht: trotzdem nicht zu schnell starten, es geht ja noch eine Weile. Ich hatte den Weg fast für mich, nur wenige Wanderer waren unterwegs und die schauen halt alle immer gleich, wenn einer den Berg hochrennt. Toller Weg, dachte ich mir, warum ich da nicht öfters trainiere?! Kurz vor dem Beatenberg wird's dann ein bisschen steiler und zum Schluss warten noch Treppenstufen. Kurz etwas trinken und die Laufzeit checken: etwa drei Minuten Vorsprung auf eine halbe Stunde Laufzeit ist doch gut. Es geht weiter über die Strasse, die Steigung ist gering, dann geht's flach. 4km sind durch, also über die Hälfte. Dann geht der Wanderweg weiter, durchs Gebüsch, über Wurzeln, alles in allem ein richtig schöner Weg. Es folgt ein etwas steilerer Teil, hier hatte ich letztes Mal für ein Foto anhalten müssen.

Nun wird es fast schon kitschig: Alles voller Nadeln am Boden, um mich herum wunderschönes Grün. Ich sehe schon den kleinen Platz, den wohl viele fürs Pausieren nutzen. Ich lugte kurz auf den See hinunter, wirklich toll dieser Flecken. Ich will aber weiter. Es wird steiler.



schöner Platz für eine kurze Pause
Blick aus dem Wald auf den Thunersee, Niesen und Stockhorn (Mai 2018)
steil nach oben geht auch der Puls
Wegen den nassen Wurzeln habe ich den einen oder anderen Rutscher und Stolperer. Egal. Dann überhole ich wieder Wanderer, sie schauen mich seltsam an. Wahrscheinlich haben sie mich von Weitem Schnaufen hören. Ich tropfe vor Schweiss. Ein knappes «hallo zäme» kommt von mir, ob es zu hören war, weiss ich nicht. Mein Puls ist schliesslich hoch, ich höre Musik. Dann staune ich nicht schlecht, als ich sehe, dass sie Barfuss wandern. Mitte September. Der Boden ist nass. Ok, jedem das seine. Aus dem Wald hinaus ist der Schlussteil von Kühen zertrampelt worden, hier musste ich letztes Mal marschieren. Weiter im Takt, das Restaurant ist schon zu sehen. Oben stoppe ich kurz: 01:27, erfreuliche 10min schneller als letztes Mal und ich könnte noch schneller. Mission erfüllt.

Es hat mir hier zu viele Leute und ich wollte ja Steinböcke sehen. Ich renne noch ein Stück in Richtung Gemmenalphorn. Genau dort, wo gerade ein paar Dutzend Menschen einander kreuzen, stehen ein paar Berggänger aufmerksam und ruhig auf einer kleinen Erhöhung. Ich gehe also vorsichtig hin und sehe gleich junge Steinböcke. Insgesamt sind es etwa 8 Stück, alles Jungtiere. Nur einen Steinwurf vom Wanderweg entfernt übersehen die meisten Menschen der König der Alpen vermutlich. Ich verweile da, beobachte diese friedlichen Tiere interessiert. Sie nähern sich bis auf 2-3 Meter, fressen, liegen einfach da, lassen sich bewundern und fotografieren. Wunderschön. Später ziehen sie weiter, einen steilen Abhang hinunter, eindrücklich wie sie sich furchtlos durch diese Landschaft bewegen. Gut möglich, dass ich einfach dran vorbeigejoggt wäre. Manchmal muss man halt aufmerksam sein, dann bekommt man so viel zurück.










Ich spaziere bis zur Mittelstation runter. Da startet ein Gleitschirmflieger-Tandem, das wäre jetzt auch toll, einfach runter gleiten. Das Gras auf der Skipiste ist kurz und ich mache ein paar Sprints bergauf. Es gibt so Spinner, die Vertical-Rennen bestreiten, direkt den Berg hoch, eben direttissima. Wäre auch mal was, da müsste ich noch intensiv trainieren, denn schon nach ein paar Metern brennen meine Beine kräftig.



Alles in allem ein wirklich toller Ausflug, den ich sicherlich wiederholen werde und vielleicht zeigen sich ja dann dem Grat entlang noch alte Böcke mit einem mächtigen Geweih. Und wenn nicht, dann begnüge ich mich mit dem vielversprechenden Trail dem Abgrund entlang. Wie schön doch die alte Heimat ist. Auf bald. Dann habe ich sicherlich auch den Jahresvorrat Justistaler Bergkäse gegessen, den ich bei der Mittelstation kaufte...