29.09.2018
Suggiture 2'041m.ü.M |
Lange, viel zu lange suchte ich am Vortag nach einem Tagesziel. Zu weit weg, zu viele Höhenmeter, Berghütte geschlossen, zu viele Kilometer, zu anspruchsvoll und was nicht alles noch ich mir selbst in den Weg stellte. Also fahre ich dann halt nach Unterseen, will auf den Harder und dann weiter auf das Augstmatthorn. Vielleicht noch ein Stückchen weiter, wenn ich den Weg schaffe… und mag… und noch will…. Also parkiere ich bei schönem Wetter, der Nebel hat sich in den letzten dreissig Minuten verzogen, das Wetter wird richtig gut. Die maximale Parkdauer ist 5 Stunden und irgendetwas. Somit weiss ich also auch, wie lange meine Route heute dauern darf, ohne eine Busse zu kassieren.
Es geht also gleich richtig los zum Harder, etwa 750 Höhenmeter auf 3,5 Km sind es. Ich merke schnell, heute mag ich irgendwie nicht so. Vielleicht sind es immer noch müde Beine vom Faulhorn, hatte mich schlecht ernährt diese Woche, am Vortag liess ich eine Mahlzeit aus. Das macht aber alles nichts, ich habe trotzdem Spass. Der Weg ist verwurzelt und steinig, mir begegnen lange keine Leute. Irgendwie freue ich mich schon früh darauf, oben zu sein. So nach gefühlten zwei Dritteln pausiere ich kurz, ein klares Zeichen, dass ich heute nichts Grosses reissen werde. Nicht zu lange pausieren, weil Parkbusse und so. Etwas später halte ich nochmals kurz. Da höre ich viele Stimmen, sehe aber nichts. Als ich einen Zick weiter war, sah ich die Aussichtsplattform. Ein (Zick)Zack später bin ich also auf dem Harder, ich brauchte 45min von unten. Es ist laut hier und irgendwie gefällt es mir nur wenig, zu viele Leute, aber das kommt halt vom vielen Alleinunterwegssein.
macht die schon müden Beine noch müder |
Der Wegweiser zum Augstmatthorn zeigt über 3h an. Hier merke ich, dass ich mich irgendwie in meiner Route verschätzte. Zu weit, zu viele Höhenmeter, zu viel Zeitbedarf, zu wenig Beine. Ich prüfe also die Route und ja, ich habe mich irgendwie wirklich vertan. Parkbusse... Es ist irgendwie steiler als erwartet. Im Trab überhole ich die paar verirrten Touris und ein paar Wanderer. Es wird still, der Weg schöner, die Motivation steigt. Der Wegverlauf macht jetzt richtig Spass, auch wenn wenig aus den Beinen kommt, mir gefällt’s. Lange verläuft der Weg im Wald, mal hoch, mal runter, mal Steine, mal Wurzeln, mal gut ausgetrampelt. Vereinzelt hätte man Sicht aus dem Wald, ich spare sie mir aber auf. An einer Felswand vorbei geht es zu einem schönen Aussichtspunkt. Kurze Trinkpause, dann aber weiter, weil eben Parkbusse.
Für den weiteren Verlauf fehlen mir vereinzelt Erinnerungen, vielleicht, weil meine Aufmerksamkeit dem Boden gilt, denn es ist etwas mühsam zum Rennen. Es geht über eine Wiese und plötzlich sehe ich von Weitem mein Tagesziel. Jetzt schaue ich mir auch das Panorama an. Ich verlasse den Wanderweg und renne übers Gras am Abgrund entlang. Die Zäune für die Kühe sind schon weg. Geiles Trailrunning. Geiles Panorama. Ich mache ein paar Fotos und versuche mich selbst zu filmen mit Eiger-Mönch-Jungfrau im Hintergrund, das Smartphone habe ich dafür in einem abgestorbenen Baum platziert oder besser gesagt hineinoperiert. Vermutlich haben mich die zügig voranschreitenden Wanderer wieder zurücküberholt. Ich will weiter, Parkbusse.
noch geht es ein Stück bis zum Tagesziel |
Bei einem Rastplatz beginnt dann die Schlusssteigung. Ich prüfe mal das GPS, es bestätigt meine Befürchtung, dass der Weg noch weitergeht, handelt es sich doch erst um die Suggiture. Macht aber nichts. Damit ich dann auch im Nachhinein über meine Leistung zufrieden sein werde, nehme ich mir vor, die Schlusssteigung zu rennen. Es sieht steil aus. Den ersten Teil schaffe ich gut. Auf einmal hat es wieder viele Wanderer, die auf dem Weg nach oben wie nach unten sind. Der zweite Teil ist ziemlich steil, lose Steine und hohe Tritte machen es schwierig, aber ich halte meinen Trab. Ein, zwei Mal geht es direkt neben dem Weg schon richtig runter. Und ja, dann bin ich oben. Es sitzen gut 20 Gesellen hier, sie alle geniessen die Aussicht. Ich halte kurz, sehe mich um und will wissen, wie es bis zum Augustmatthorn weitergeht: Noch ein paar Höhenmeter, ein geschätzter Kilometer, das werde ich schon noch schaffen. Obacht Parkbusse.
Für die nächsten paar Meter ist der Wegverlauf schmal. Ein Bisschen. Oder ich meine es, weil hoher Puls und so. Rechts geht es in den Tod, links so ein bisschen steil runter. Aua, wer hier fällt. Dann wird es schnell wieder unkritisch. Ich stampfe weiter. Ein paar Minuten später bin ich oben auf meinem Tagesziel, dem Augustmatthorn auf 2’137m.ü.M.
Jetzt ist es an der Zeit, das Panorama zu würdigen. Der Blick geht weiter über den Brienezersee, über das Brienzer Rothorn, das Gemmenalphorn und das Niederhorn, Stockhorn und Niesen ragen auch aus dem Nebel (ich kenne nur die...). Und direkt vis-à-vis meine Route von der Vorwoche: Schnyige Platte bis Faulhorn. Im Hintergrund ragen mächtig Schreckhorn, Finsteraarhorn mit Eiger, Mönch und Jungfrau empor. Wow, hier kann man sich einfach nicht satt sehen. Die Stimmung mit dem Nebel ist schlichtweg grandios. Das muss man selbst erlebt haben. So prächtig das Panorama, so lange mein Bestaunen, so hoch mein Akkuverbrauch (es verleiben 2%.). Das hat sich richtig, richtig gelohnt.
Den selben Weg retour mag ich nicht, also folge ich den drei Trailrunnern zurück zum Suggiture. Mein Trinkbeutel ist fast leer, gegessen habe auch kaum. Ich biege nun ab in Richtung Habkern. Hatte ich doch auf Steinböcke gehofft, kann ich mir in dieser Landschaft kaum welche vorstellen. Der Weg verläuft quer im Hang, schön. Es folgt ein steiniger Abschnitt, rechts eine Felswand. Ich halte Ausschau nach dem König der Alpen. Ich sehe keinen. Eine Minute später schaue ich nochmal genau hin und voilà, da ist ja doch einer. Ein Jungtier auf einem Stein. Den Weg verlasse ich kurz und nähere mich dem wundervollen Tier. Er hat mich längst kommen hören. Daneben liegt noch ein zweiter Steinbock. Und weil meine Tapsigkeit einen Stein zum Runterfallen bringt, schauen plötzlich noch drei weitere Böcke neugierig hinter dem Felsen hervor. Glücklicherweise reicht mein Akku für ein paar Bilder. Ich lasse die Tiere dann wieder in Ruhe, näherte ich mich doch bis auf ungefähr vier Meter. Weiter unten blicke ich zurück und die beiden grösseren Böcke schauen erhaben aufs Tal hinab. Schön. Und gleich sind noch drei Gämsen im Hang. Eine rennt in beeindruckendem Tempo das Tal hinunter, die anderen gehen hoch.
gemütlich liegen sie da an einem öden Samstagnachmittag.
Wer oben sich korrekt benimmt,
dem sind die Tiere wohl gesinnt.
Geht ihnen bitte nicht zu nah,
man bedenkt, sie waren vorher da!
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Ich biege ab zur Lombachalp, denn ich mag nicht mehr so und brauche Essen und Trinken. Es war matschig auf dem letzten Abschnitt. Meine Schuhe sehen übel aus. Beim Restaurant bestelle ich Wasser und Citronencake. Fein. Ich muss aber weiter. Parkbusse. Der Weg verläuft nun auf der Strasse und später über Wiesen. Ich wage einen Versuch, mein GPS zu aktivieren, will ich doch die verbleibende Distanz wissen. Klappt irgendwie nicht. Also immer weiter nach Habkern. Dann biege ich falsch ab, falsch weil es wieder aufwärts geht. Ich will aber runter. So wende ich und erreiche bald Habkern. Das Poschi meide ich, also gehe ich weiter auf der Strasse. Da sehe ich die Strassensperrungen, diejenige von der Radiodurchsage heute Morgen. Ein Einheimischer rät mir den Umweg in Richtung Beatenberg, das gäbe nochmals Höhenmeter. Oder zurück zum Weg, wo ich eben erst umkehrte, das ginge aber bergauf zum Harder. Die Strasse ist gesperrt, weil die Brücke einsturzgefährdet ist. Dann besinnt sich der Ortskundige, dass heute Morgen die Kühe über die Brücke gingen… also wähle ich denselben Weg. 70 Kilogramm wird die Brücke schon vertragen. Wegen der Strassensperrung habe ich die gesamte Hauptstrasse für mich. Die 7km ziehen sich dann doch noch. In Unterseen angekommen zeigt sich mir nochmals Mönch und Jungfrau bei bester Sicht. Weder habe ich noch Energie, noch eine Parkbusse.
Oben auf dem Augustmatthorn verweilte ich rund eine Stunde, das ist dann auch aussagekräftiger als ein Fazit. Für die 27 Kilometer und 1'766 Höhenmeter benötigte ich 3h51.