Eiger Ultra Trail 2019 E51

20.07.2019
Da stehe ich also um 6:45 Uhr im Dorf Grindelwald und warte auf den Startschuss. Dass ich überhaupt am Start stehe, ist pures Glück. Der gigantischen Nachfrage wegen waren die Startplätze innert 3 Minuten vergeben, die lange vergebliche Suche nach einem übrigen Startplatz endete erst spät. So kaufte ich einem Läufer aus Hong Kong sein E51-Ticket ab. Geniessen und vernünftig bleiben, so lautet das heutige Credo. Ich hatte es versprochen, liegt der letzte Lauf doch erst zwei Wochen zurück. Mit einer Zielzeit von 8 Stunden wäre ich zufrieden. E51 steht für die zweit längste Distanz mit 51 Kilometern und 3'100 Höhenmetern hinauf und wieder runter. Für viele stellt der Eiger Ultra verständlicherweise das ultimative Saisonhighlight dar.
Blick zurück zum Eiger
Ich starte weit hinten, eher super-gemütlich als gemütlich. Mein erstes Bild vom Eiger Ultra war übrigens jenes, wo Läufer zu sehen sind, die in der Dunkelheit mit Stirnlampe aus dem Dorf sprinten. Bei Dunkelheit starteten allerdings nur die Läufer der 101km-Distanz. Schweren Rucksackes trabt der Tross aus dem Dorf. Bereits nach rund zweieinhalb Kilometern ist die erste ungewollte Pause fällig, da eine Verengung über eine Brücke zu Stau führt. Bald weicht der Asphalt dem Wanderweg in Richtung Wetterhorn/Ischpfad. Hier trottet man in der Schlange hintereinander her, überholen ist möglich, bringt vermutlich Unbeliebtheit mit sich. Wie ein Tazzelwurm schlängeln oder wurmen sich die Läufer die erste Steigung hoch zum Ischpfad. Besonders Genervte überholen spätestens bei der ersten Abwärtspassage und geben die angestaute Energie in Form eines Zwischensprints frei. Gelegentlich kreuzen wir die Strasse, wo nebst der morgendlichen Ruhe selbst bei einer Läuferschar wie dieser ungewohnte Stille herrscht. Das Surren des Elektromotors eines Bikers klingt jetzt ähnlich irritierend wie eine Mücke im Schlafzimmer. So erlebe ich den Sonnenaufgang kurz vor der Grossen Scheidegg, die ich überaus locker marschierend nach rund 1h30 erreiche. Der erste Ausbruch von Anarchie am Foodstand kommt erwartet, schliesslich wollen heut' ja alle Erster werden. Zwischenzeitlicher Rang: 151.
kurz vor dem Start


Tazzelwurm
Wetterhorn
Sonnenaufgang kurz vor der Grossen Scheidegg
Bananisiert lege ich an Tempo zu, der gering ansteigende Trail zur First lädt regelrecht zum Tempo machen ein. Da bietet sich mir die Gelegenheit zum Auf- und Überholen. Hier zeigt sich die Herkunft des Namens meiner heutigen Distanz: E51 Panorama Trail. Wetterhorn, Schreckhorn, EMJ und Vieles mehr sind ständige Begleiter und bleiben es auf der gesamten Strecke. Wow! Nach 2h13 erreiche ich die First, hier warten die ersten Begleitpersonen, Zuschauer und Wanderer. Der First Cliff Walk, ein Steg mit Nervenkitzelgarantie (propagiert jedenfalls das word wide web), nimmt der eilende Läufer wortwörtlich beiläufig wahr. Heute wird alles gerannt, was flach ist, da bleibt wenig Aufmerksamkeit für Attraktionen. Credo hin oder her. Am Foodstand verpflege ich mich selbstverständlich vorausschauend.

Trail zu First






Trail zur First

Nun hole ich erste Läufer des Hunderters ein. 101 Kilometer absolvieren andere also, beeindruckend, auch wer scheitert verdient höchsten Respekt. Unsicher über das Höhenprofil zücke ich mal mein Smartphone. Meist flach, minim bergauf und einiges bergab soll die Strecke verlaufen. Das ermöglicht wiederum zügiges Joggen. Mit zügig meine ich hier relativ im Verhältnis zur noch ausstehenden Gesamtstrecke. Beim kleinen Bruder des Bachalpsees bietet sich mir die Möglichkeit eines sich im See spiegelnden Schnappschusses vom Schreckhorn. Toll. Live wirkt es übrigens eindrücklicher als fotografiert. Es folgt eine Steigung mit zwei engen Passagen, die wiederum zu Stau führen. Das Faulhorn kennzeichnet etwa die Hälfte der Strecke, wobei bis dorthin die meisten Höhenmeter absolviert sind. Es wäre allerdings zu einfach, vom Bachalpsee direkt zum Faulhorn hinaufzusteigen. So verläuft dann eben die Strecke zuerst hinunter zum Oberläger. Dieser Weg ist Neuland für mich. Felsig und dementsprechend technisch gefällt mir dieser Abschnitt enorm. Insgesamt verdient die Strecke bis dahin absolute Höchstnoten. Nach 3h09 erreiche ich den Oberläger/Feld. Der Verpflegungsposten ist hier in einem Stall untergebracht. Wie sie den Stallgeruch so authentisch hingekriegt haben, ist mir ein Rätsel. Auf jeden Fall gefällt mir die Idee. Mal etwas anderes.
 
schrecklich schönes Schreckhorn

interessanter Weg zum Oberläger
Die Steigung zum Faulhorn hinauf ist sozusagen das Filletstück. Hier versuche ich meine Pumpe und Beine bestmöglich zu schonen. Es gelingt mir eigentlich gut. Ich könnte schneller. Da liegt die einer oder andere Text- und Sprachnachricht drin, z. B. an Räphu, der auf der anderen Talseite gerade die Schwalmere befleckt eh besteigt. Kurz gesagt, es geht einfach bergauf. Erst gegen Ende der Steigung überholen mich E51-Läufer, ich hätte erwartet, mehr zurückzufallen. So passiere ich nach 4h16 das Faulhorn auf 2'681m.ü.M. Ich freue mich, ist bisher alles so reibungslos verlaufen. Vermutlich im Delirium denke ich flüchtig darüber nach, gelegentlich mal über einen Hunderter nachdenken zu wollen. Da Nachfüllen nur für den Becher erlaubt ist und nicht für den verschliessbaren Beutel, stoppe ich einige Minuten. Das zweite Linzertörtli wartet bereits auf sein Schicksal.
Faulhorn bald erreicht
Ich mache mich auf den Weg hinunter zur Schynigen Platte. Gegen 12km sollen es sein. Entgegen meiner Erwartung und Erfahrung zeigt sich der Trail als steinig und weniger geschmeidig. Ich gedulde mich eine Weile, bis ich das Tempo steigere. Hier überhole ich viele 101km-Läufer, gelegentlich passieren mich direkte Gegner, was völlig okay ist. Anders als in der Gegenrichtung nehme ich den Weg nun als schön, nicht aber als hochlobend fantastisch war. Vielleicht liegt es am Panorama, das statt im direkten Angesicht nun eher mit verrenktem Blick zurück zu sehen ist. Insgesamt beansprucht es ganze 7km, bis ich das Linzertörtli gegessen habe, häppchenweise versteht sich, mit Wasser verdünnt versteht sich, appetitlos versteht sich. Ein weiterer Miniposten nutze ich fürs Trinken. Mit gefühlt leerem Magen nähere ich mich der Schynigen Platte, jetzt freue ich mich auf eine Banane. Vom Linzertörtli ist nichts mehr zu spüren. Zeitweise noch spritzig selbst bei kurzen Gegenanstiegen, geht mir langsam aber sicher die Kraft aus. Getrunken habe ich genug, gegessen lange auch, wobei ich eben schon 5h50 unterwegs bin und vermutlich mehr Energie hätte zufuhren sollen. Die erhoffte Banane lässt dann auf sich warten, denn bei der Schynigen Platte ist der ersehnte Foodstand nur eine Fata Morgana. Das hatte ich anders in Erinnerung. Henusode. Immerhin beginnt der Abstieg.
Männdlenhütte, bedeutend weniger Schnee als vor drei Wochen

Pausieren tut gut
Die steigende Temperatur spüre ich nun gut. Mir vergeht langsam die Lust auf stilles Wasser. Ein weiteres Dilemma: Hunger und Appetitlosigkeit zugleich. Über Naturstrasse und Wiesen verläuft der Abstieg zum Checkpoint Schwand. Hier bratet die Sonne enorm. Viele nutzen den Schatten eines Gebäudes, pausieren eine Weile und Hintersinnen sich wohl über den Sinn und Zweck eines solchen Laufes. Ich gönne mir ein Kilo Orangen, frisches und vor allem kühles Wasser. Ein paar Pringles und Bouillon helfen auch. Ein Wasserschlauch sorgt für willkommene Abkühlung. Unverkennbar beginnt nun für viele Läufer die Phase des Leidens. Bei mir geht's eigentlich gut, Hitze und eben der leere Magen sind während der Betätigung stets mühsame Gegner. Bis hinunter nach Burglauenen verläuft der Wege eben bergab. Vermutlich bin ich noch nie so viel abwärts gerannt wie heute. Ehrlich. Über Wiesen und später durch den Wald ist der Wegverlauf richtig abwechslungsreich. Ein Gegenanstieg von geschätzten 200 Höhenmetern quält dann auch diejenigen, die zwischenzeitlich locker flockig an einem vorbeirauschen. Ein abenteuerlicher Weg, so denkt jedenfalls der müde Läufe, verläuft an einer Felswand vorbei über einen schmalen und schiefen Steg. Nun sind bereits die Lautsprecher des Checkpoints in Burglauenen zu hören, den ich nach ca. 7h16 erreiche.
endlich...
44,4 Kilometer sind geschafft. Ich belächle und verwerfe im gleichen Masse meinen anfänglichen wenn auch überaus flüchtigen Gedanken für die Teilnahme an einem 100km-Lauf. Die brütende Hitze plagt mich sogar bei der Rast auf dem Sportplatz. Elend. Ich trinke und brunze, werfe einen Gel und anderen Food rein. Dann warten die letzten rund 7km auf mich. Überrascht davon, noch joggen zu können, geht's in den Wald hinein. Eine Pace von rund 6min pro Kilometer ist einerseits ernüchternd, anderseits treffe ich Läufer im Spaziergang an. Jetzt macht es mir noch weniger aus, überholt zu werden. Ausserhalb des Schattens leide ich sehr. Sei die Steigung noch so gering, schwinden die Kräfte. Über Asphalt, ich meine irgendwo sogar über eine neu asphaltierte Strasse zu joggen, drückt die Hitze selbst von unten. Strub. Würklech. Nun lässt meine Pace stark nach, ich sehne mich nach Kilometerangaben. Nach Grindelwald Grund erwähnt ein Streckenposten eine Restdistanz von 2,5km. Was mit frischen Beinen nach nullkommanichts klingt, drückt nun aufs Gemüht. Die kurze Zwischensteigung nehme ich eher trödelnd in Angriff. Noch einmal flach und leicht bergab erreiche ich die 50km-Signalisation. Endlich. Ich fotografiere sie zwecks Motivation (für ein andermal). Die nächsten etwa 50-100m flach spaziere ich, darauf folgt eine Steigung über geschätzte 300m. Die Hitze und Erschöpfung plagen mich jetzt mehr denn je. Ich pausiere. Dann zottle ich übers Gras in der Hoffnung auf weniger Abwärme als auf dem Asphalt. Nun überholt mich tatsächlich noch mein heutige Enemy. Einer mit zu engen Hosen, der mich früh morgens schon nervte, quittiert mein stilles Leiden mit "brutal". Nur wenige Meter, dafür viel Zeit später kühle ich mich an einer Gartenschlauchdusche ab. Dann entdecke ich die Dorfstrasse, aktiviere nochmals meine Beine und laufe in den Zielbereich.

Zieleinlauf



Nach 8 Stunden und 10 Minuten finishe ich den Eiger Ultra Trail E51. Es ist mein elfter Marathon, mein siebenter Ultramarathon. Alle Finisher erhalten als Medaille ein Stück Eiger-Felsen. Tolle Idee! Im Ziel brauche ich eine gute halbe Stunde, dann bin ich wieder repariert. Die erhoffte kalte Dusche muss dann warten, weil im Eisstadion überraschenderweise nur Warmwasser rauskommt. Huss. Der Sieger des 101km läuft übrigens kurzum nach mir ins Ziel, absolut unglaublich diese Leistung. Und der Typ sieht noch knusprig aus als wäre er eben erst aufgestanden.

ein Stück Eiger. Meins.

Fazit: der Eiger Ultra Tail verdient Höchstnoten. Der Streckenverlauf und das Panorama sind hervorragend. Ich könnte mehr über die Strecke schreiben, doch empfehle ich, sie einfach selbst zu begehen (die letzten 6km klammere ich jetzt mal aus). Mit meiner Leistung bin ich summa summarum zufrieden. Die Steigungen ging ich passiv an, die flachen Abschnitte absolvierte ich in einem vernünftigen Pulsbereich. Trotzdem war der Spassfaktor hoch. Abwärts zog sich die Strecke mehr als erwartet. Der letzte Kilometer, vermeidlich ein leichter, war enorm anstrengend, so wie ich es noch kaum erlebte. Schlussrang 73. Es gibt wahrlich noch mehr darüber zu schreiben, aber we don't live in the past, huh. Ultra geil der Eiger Ultra Trail.
Summary